Das Heimweh des Ossis

Für Bernd Stange, den ehemaligen Nationaltrainer der DDR und des Irak, läuft es als Trainer auf Zypern nicht mehr rund. Jetzt spricht er von der deutschen Bundesliga – für die fühlt sich der Fußballlehrer nach aufregenden Wanderjahren endlich reif

„Ich habe im zivilen Bereich des Irakfür den größten Erfolg gesorgt“

aus limassol andreas rüttenauer

„Herr Stange, Herr Stange!“ Zwei Männer in feinstem Zwirn laufen durch die großzügige Lobby des noblen Hotels „Hawaii“ in Limassol auf einen drahtigen älteren Herrn im Trainingsanzug zu. Hände werden geschüttelt. „Wir sind sehr stolz auf Sie!“ Der Angesprochene bedankt sich artig und nimmt noch ein paar weitere Huldigungen entgegen. „So ist das hier“, erklärt Bernd Stange, 58, und lächelt. Seit knapp zwei Jahren arbeitet er auf Zypern. In der vergangenen Saison hat er seinen Klub Apollon Limassol ungeschlagen zur Meisterschaft geführt. Seitdem wird er im Süden der Götterinsel verehrt wie ein antiker Held, ist, so sagt er selbst, „fast schon Legende“.

Aufrecht sitzt er im Korbstuhl auf der Terrasse des Hotels und sagt, dass es ihm gut geht. Die Zeit auf Zypern sei Balsam für ihn gewesen. Lange habe er gebraucht, um seine Erfahrungen zu verarbeiten, die er im Irak gemacht habe. Dort war Stange Nationaltrainer. Angeheuert noch zu Zeiten den Diktators Saddam Hussein, verließ er in Kriegszeiten das Land und kehrte nach dem offiziellen Kriegsende zurück. „Ich habe viel gelernt“, sagt Bernd Stange.

„In Deutschland ist man erst einmal über mich hergefallen, als ich diese Mannschaft übernommen habe“, erinnert er sich. Er erzählt von jenem Bild, „wo ich vor einem Gemälde mit Saddam Hussein fotografiert worden bin, ohne mein Wissen. Ich habe nicht geschaut, was sich hinter mir befindet.“ Stange, 1948 im sächsischen Gnaschwitz geboren, war in seiner Heimat schon lange vor dem Irak-Engagement mehr als umstritten. Seine dicke Stasiakte, für die er unter dem Decknamen „Kurt Wegner“ als Zuträger unterwegs war, bestimmte das Bild, das in der Öffentlichkeit von dem Mann gezeichnet wurde, der von 1983 bis 1988 Trainer der DDR-Nationalmannschaft war. „Zu diesem Thema ist alles gesagt“, sagt er nun. Stange, der seine Worte ruhig und bedächtig setzt, wird fast ein wenig laut. Jeder solle sich sein Urteil „bitte schön“ selbst machen und darüber nachdenken, „ob das ausreicht, über jemanden zu urteilen“. Und überhaupt: „Beurteilen lasse ich mich nur von Menschen, die sagen können, was sie in einer vergleichbaren Situation selbst getan hätten.“ Er ist sauer. „Auf jeden Fall“, fährt er fort, „nicht von denen, die bei der Einreise in die DDR Angst hatten, weil sie drei oder vier Spiegel, Stern oder Kicker im Auto hatten.“ Im Jahr 1973 war es, als Stange eine Verpflichtungserklärung für die Stasi unterzeichnete. Damals war er Trainer des FC Carl Zeiss Jena. Ein Europapokalspiel in Wolverhampton stand an. „Hätte ich nicht unterschrieben, wäre ich nicht mitgekommen.“ Er wird noch ein bisschen lauter. „Das wird hochgespielt, immer wieder, immer wieder, immer wieder, so lange, bis der Eindruck entsteht: Das muss ein ganz schlimmer Finger gewesen sein.“

Endlich wird Bernd Stange wieder ruhiger, erzählt von seiner Erziehung in der DDR, die dafür gesorgt habe, dass er glaubte, dass dieser Sozialismus etwas sehr Menschenwürdiges ist. Erst später mit seinen ersten Reisen ins Ausland habe ein Lernprozess eingesetzt: „Das fragt man sich schon: Warum sind die Häuser grau, warum sind die Kaufhallen schmutzig?“ Er doziert über seine Erfahrungen, zunächst im DDR-Sozialismus, dann im vereinigten Deutschland, später in der „Westminster-Demokratie“ Australien, in einem Sultanat, dem Oman, und dann in der Diktatur. Ja, er hat viel gelernt, sagt er

Er stellt fest, dass er es für falsch hält, immer für falsch gehalten hat, die Demokratie in einem Land wie den Irak „von jetzt auf heute“ zu installieren. „Ich war von Anfang an ein Antikriegsgegner“, sagt er mit fester Stimme. Der Versprecher fällt ihm nicht auf. „Dass das Land keine Vernichtungswaffen produziert, war mir von Anfang an klar. Da gab es ja nicht einmal einen Keilriemen.“ Doch arm war nicht jeder. Bernd Stange hat den Trainerposten im Irak auch deswegen angenommen, weil es – „das muss ich zugeben“ – finanziell überaus attraktiv war.

Erst nach dem Krieg bekam er das Elend zu spüren. Er erzählt von der Arbeit als Trainer ohne Bälle, ohne Trikots. „Wir haben Sandsäcke gefüllt, um unsere Fitness zu trainieren.“ Und er berichtet von der Anerkennung, die er nun für seine Arbeit bekam. Aus dem Trainer des Diktators war ein Entwicklungshelfer geworden. „Ich habe ja nach dem Krieg im zivilen Bereich des Irak für den vielleicht größten Erfolg gesorgt, die Olympiaqualifikation.“ Der Irak, den er noch vor den Spielen in Athen verlassen musste, weil er massiv bedroht wurde, sein Bodyguard nicht mehr für seine Sicherheit garantieren wollte, bestimmt heute noch sein Leben. Fünf seiner ehemaligen Auswahlspieler hat er nach Limassol geholt, „alles Riesenfußballer“. Die Schwester eines seiner Spieler wurde vor kurzem entführt. Der Spieler erfüllte die Lösegeldforderungen, „sonst wäre sie enthauptet worden“. Er zählt noch weitere Grausamkeiten auf und wirkt dabei wie ein kühler Protokollant des Elends. „So ist das eben“, sagt er.

Über die Politik kommt er wieder auf den Sport zu sprechen. Seine DDR-Vergangenheit sei ihm bei all seinen Auslandsengagements nie hinderlich gewesen. Nach der Wende, als er beim hochverschuldeten Hertha BSC und dann beim VfB Leipzig scheiterte, sei er noch nicht so weit gewesen. „Da habe ich doch gar nicht gewusst, wie der Fußball im Westen funktioniert, bin mit großen Augen vor den Managern gestanden und habe denen alles geglaubt.“ Jetzt fühlt „der alte Ossi-Trainer“ sich reif.

Sein „alter Freund“ Hans Meyer habe auch etliche Umwege nehmen müssen, bis er in der Bundesliga angekommen sei. Die Mittel in Zypern seien doch arg begrenzt, meint Stange. „Das soll jetzt keine Bewerbung sein.“

Nach dem Sieg vom Samstag hat sich der schwächelnde Meister Apollon Limassol ins gesicherte Tabellenmittelfeld vorgeschoben. „Normalerweise wirst du hier nach zwei Spielen gefeuert“, erzählt er. Momentan profitiere er vom Meisterbonus, „aber das kann sich schnell ändern“.

Wenn sich die Stimmung gegen ihn wendet, dann müsste er seine schmucke Villa, die ihm der Klub nach dem Titelgewinn spendiert hat, verlassen. „Die kann ich Ihnen gar nicht zeigen“, sagt Stange, „sonst kommt nur wieder Neid in der Heimat auf.“