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Archiv-Artikel

ORTSTERMIN: WIE EINE BESICHTIGUNG DER ELBPHILHARMONIE BLICKWINKEL VERÄNDERN KANN Geiles Ding mit Fliegenschiss

Wichtig ist allein die Faszination, der auch Skeptiker erliegen, gefangen von der schieren Größe des Bauwerks

„Ja“ – nur zwei Buchstaben, nur ein Wort. Affären beginnen so, Liebesheiraten ebenfalls. Und vielleicht hat gerade eben wirklich eine Art von neuer Beziehung begonnen, da hilft kein Zieren und kein Sträuben. Die Elphi ist ein geiles Ding.

Die Frage war, ob die Elbphilharmonie in der Hamburger Hafencity die knapp 800 Milliönchen wert ist, die sie nach aktuellem Stand mindestens kosten soll. Alle nicken. Vier linke, kritische HamburgerInnen, die ökologische Lebensmittel schätzen und die soziale Spaltung der Stadt beklagen, sitzen am Sonntagabend in der Hafencity in einer Kneipe, die viel zu edel ist, um Kneipe genannt werden zu dürfen, bei einer Karaffe guten Weines und reflektieren ihre einstündige Visite auf Hamburgs teuerster Baustelle gleich gegenüber. Sie spekulieren darüber, wie die Akustik wohl wirklich sein mag in dem großen Konzertsaal, den sie soeben besichtigt haben, und wie das jetzt genau zu verstehen ist mit den zwei Schalen, aus denen er besteht, einer äußeren und einer inneren, die auf 382 Stahlfedern stehen und hängen sollen. „Wie zwei Salatschüsseln ineinander“, hatte die Führerin erläutert, mit einer Gleitschicht dazwischen, aber das hatte nicht wirklich alles erklärt.

Muss es auch nicht. Wichtig ist allein die Faszination, der auch Skeptiker erliegen, gefangen von der schieren Größe des Bauwerks, von der Abwesenheit rechter Winkel, von den schwebenden Stufen und Bögen, die selbst im Rohbau beeindrucken, und vom Rundumblick von der öffentlichen Plaza aus, in 37 Meter Höhe, die mit 4.000 Quadratmetern fast so groß ist wie der Hamburger Rathausmarkt. Da stören auch die vielen schwarzen Punkte auf den 1.100 seltsam verbogenen Fensterelementen nicht, die arg an Fliegenschiss erinnern und den Blick aus den Fenstern trüben. Aber das sieht man nur von innen und kann uns egal sein, weil wir nie dort ein Hotelzimmer buchen und schon gar nicht eine Eigentumswohnung für gut und gerne 20.000 Euro pro Quadratmeter kaufen werden. Ein sommerlicher Cappuccino auf der Plaza wäre schon genug. Den werden wir uns auch gönnen, und sei es nur, um zu überprüfen, ob die Schmähung der Elphi als Symbol protziger Elitenkultur berechtigt ist.

An die 10.000 Menschen sollen am Wochenende an den kostenlosen Führungen in der Elphi teilgenommen haben. Sie haben den kleinen und den großen Saal besichtigt, das Foyer und die Plaza, sind „kühn geschwungene Treppen“ hinaufgestiegen und haben sich in Wort und Film das künftige Wahrzeichen der Freien und Hansestadt nahebringen, Zweifel zerstreuen und Blickwinkel verändern lassen. Die beiden „Tage der offenen Tür“ sind genial gelungene PR, mögen böse Zungen auch von Augenwischerei sprechen.

Draußen auf der Bühne am Kai vor der Elphi gibt es zwei Tage lang gratis Elektro-Pop und Independent, Samba und Weltmusik. Als Soul-Diva Y’akoto – Mutter aus Hamburg, Vater aus Ghana – um 20 Uhr ihr Konzert im einsetzenden Nieselregen mit den Worten „Moin, Hamburg, schön’ Wedder auch“ beginnt, dämmert uns, dass mit der Elphi wohl nichts besser wird in Hamburg. Aber viel schlechter auch nicht.SVEN-MICHAEL VEIT