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Archiv-Artikel

DIE ACHSE DES HIPHOP VON TOBIAS RAPP Rappen wie ein rosa Pelzmantel

Ganz großen Pop kann man auch so erklären: seine Klangsprache ist so universell, dass ein genaues Verständnis von dem, was der Künstler im Wortlaut meint, schlicht überflüssig ist. Man versteht es auch so. Die Beatles etwa. Oder Snoop Dogg. Im Grunde hat er nichts zu sagen. Doch gerade diese Leere seines Rappens stellt umso klarer die stilistische Eleganz seines Singsangs aus, diese Kombination aus Gesäusel und Härte, im Grunde die gesungene Variante des Pimps im Pelzmantel. Irgendwie ist Snoop das ja auch, aber eben nicht nur: Pornofilmproduzent ist er ja auch, Gangster (gerade hat er einen Gang-Waffenstillstand in L. A. vermittelt), aber auch: MTV-Moderator und Star in Hollywood-Komödien. Ohne dass er sich umzuziehen müsste.

Nach dem so wunderbar popaffinen Album „R & G“ vom vergangenen Jahr, nähert Snoop mit „Tha Blue Carpet Treatment“ das Zentrum seiner Persönlichkeit wieder ein wenig näher an das Gangstertum an, der Titel weist schon in die Richtung, blau ist die Farbe der Crips, einer berühmten Gang. Es beginnt mit „Think About It“, einem dieser schönen Jazzgitarrensample-Stücke, die den Westküsten-Hiphop schon immer ausgezeichnet haben, für das tiefergelegte „Crazy“ hat er sich seinen alten G-Funk-Kumpel Nate Dogg geholt, „Vato“ bounct über seinem verschleppten Synthiebass – das sind nur die ersten drei Stücke, 21 hat die Platte insgesamt. Viel zu viele natürlich, wie immer im Hiphop. Aber wer im Überfluss lebt, kann den Beat ruhig fließen lassen.

Snoop Dogg: „Tha Blue Carpet Treatment“ (Universal)

Rappen wie eine Ein-Mann-Armee

Fast noch besser als das Album von Snoop Dogg ist allerdings „Doctor’s Advocate“ von The Game. Wir erinnern uns, der Rapper, der letztes Jahr mehrere Millionen Exemplare damit verkaufte, seine eigene Gangsta-Vergangenheit mit dem G-Funk-Sound der frühen Neunziger zu verquirlen und dabei auch noch eine Allianz mit dem New Yorker 50 Cent zu bilden. Was in einer Schießerei vor einem New Yorker Radiosender endete.

Nun gibt es „Doctor’s Advocate“, und das Großartige an dieser Platte ist, dass sie in ihrer umfassenden Wirrheit ganz wunderbar den allgemeinen Wahnsinn des industriellen Gangsta-Hiphop spiegelt. Mal wird 50 Cent gedisst, dann der Streit begraben. Im Titelstück legt er sich mit tränendurchwirkter Stimme seinem Exproduzenten Dr Dre zu Füßen und bittet ihn um Verzeihung für seine Verfehlungen der Vergangenheit, im Schlussstück, dem Neun-Minuten-Epos „Why You Hate The Game“ bietet er 50 Cent dann Versöhnung an, um zu dem Schluss zu kommen, das sei aber schlecht fürs Geschäft. Produziert ist all das wie ein endloser Dr-Dre-Nachbau, die Bässe rollen wie die Reifen, auf denen The Game für das Cover posiert. Im Hiphop-Geschäft mit seinen Gangsta-Posen und Stammeslogiken kann man sich The Game wie eine Ein-Mann-Armee vorstellen. Ein Soldat, der allen Kontakt zu seinen Leuten verloren hat und sich fluchend und paranoid in Feindesterritorium durchzuschlagen versucht. Dafür hat er sogar Rappen gelernt.

The Game: „Doctor’s Advocate“(Geffen/ Universal)

Rappen wie der Chef

Ein wenig enttäuschend dagegen das Album von Jay-Z. Was wahrscheinlich an den Erwartungen liegt. 2003 hatte sich der wichtigste Rapper der letzten zehn Jahre aus dem Geschäft zurückgezogen, da erwartet man einiges von einem Comeback. Doch so großartig „Kingdom Come“ musikalisch ist, so perfekt Produzenten wie Swizz Beats, Kanye West oder Dr Dre die klangliche Nervosität in ihre Tracks eingewoben haben, die Jay-Z braucht, um seine Geschichten zu erzählen – er kann nicht wirklich erklären, warum es nötig war, aus der Rente zurückzukehren. Um zu erzählen, wie schön es sich auf dem „Beach Chair“ sitzt? Braucht man wirklich Jay-Z um erklärt zu bekommen, dass das Tolle am Älterwerden die Verfeinerung der Geschmacksnerven ist?

Die Größe von Jay-Z war immer, dass er zum einen reflektierter als jeder andere Rapper die Urgeschichte des Hiphop erzählen konnte, den Aufstieg vom Straßendealer zum Multimillionär und Unternehmenschef. Zum anderen konnte er dies aber nicht nur erzählen, er stieg auch ganz real zum Chef von Defjam auf, dem wichtigsten Hiphop-Label. Was wiederum für den Wahrheitsgehalt seiner Kunst sprach – im Hiphop ist es schließlich schwieriger als irgendwo sonst, Leben und Kunst auseinanderzuhalten. In seinem Willen zum Aufstieg brachte Jay-Z Form und Inhalt zusammen. Bei aller Perfektion scheitert er auf „Kingdom Come“ daran, dass er kein existenzielles Motiv für sein Tun mehr hat.

Jay-Z: „Kingdom Come“ (Universal)