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Archiv-Artikel

PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH Gestatten, Höschle, Finanzamt Tübingen

Heute Morgen um acht Uhr wird an meiner Haustür ein Steuerprüfer Einlass verlangen. Ich bin sehr aufgeregt

Wird er einen Oberlippenbart tragen? Weiße Socken und Siegelring? Der Stimme am Telefon nach klang der Mann wie noch keine 40. Ich mache mir immer ein Bild von dem Menschen, mit dem ich telefoniere: Herr Höschle erschien mir vor meinem inneren Auge eher klein gewachsen, mit dünnen, kurzen Haaren und einer randlosen Brille.

Herr Höschle war nicht unfreundlich. Nur bestimmt. „Dann werde ich am Freitag um acht Uhr bei Ihnen sein“, sagte er, ehe er auflegte.

Herr Höschle, das entnahm ich einem Brief, den ich wenige Tage vor dem Telefonat in einem Stapel Post gefunden hatte, ist Steuerprüfer beim Finanzamt Tübingen. Der Brief trug eine hässliche Überschrift: „Anordnung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung gemäß § 196 Abgabenordnung.“

Vielleicht bin ich ja der Einzige im Land. Aber ich hatte wirklich noch nie in meinem Leben Besuch von einem Steuerprüfer. Nicht einmal privat kenne ich einen. Das ist eine absolut fremde Welt. Ich weiß nicht, wie ein Steuerprüfer denkt, wie er fühlt. Oder wie ich ihn ansprechen muss, damit er mir gnädig gestimmt ist. Denn das muss er sein. Ich pflege keine besonders gründliche Ordnung in meiner Buchhaltung. Eigentlich weiß ich gar nicht, was das Wort Buchhaltung genau bedeutet. Ich lese Bücher, ich halte sie nicht.

Belege sammle ich an vielen verschiedenen Orten. Um eine bestimmte Rechnung zu finden, brauche ich Stunden. Sie könnte in einer der zahlreichen Schubladen liegen, in die ich sie immer hineinwerfe. Oder im Papierkorb, aber der ist längst geleert. Herr Höschle will „einen Vorgang“ aus dem Jahre 2004 prüfen. Das ist lange her.

„Möchten Sie einen Cappuccino, Herr Höschle?“, werde ich ihn fragen, sobald er die Wohnung betreten hat. „Mit oder ohne Zucker?“ Natürlich wird er mein Angebot als Versuch werten, ihn mir gewogen zu machen. Ich werde höflich bleiben, auch wenn er ablehnt. Ich habe ja gar keine andere Chance. Ich bin zum Höflichsein verdonnert.

In einem Spielfilm sah ich einmal einen Steuerprüfer, der sich seine Thermoskanne Tee zu seinen „Kunden“ immer mitbrachte. Beim Tee- oder Kaffeetrinken fängt die Bestechung nämlich schon an, bei einem Nummernkonto in Liechtenstein hört es dann auf.

Natürlich darf Herr Höschle seine Schuhe in der Wohnung anbehalten, was sonst nie jemand darf. Aber einen Steuerprüfer in Socken … – das würde nicht gut gehen. Es gäbe da „ein paar offene Fragen“ zu einem Autoverkauf aus dem Jahr 2004 und der damit verbundenen Umsatzsteuer. So viel ließ er mich am Telefon wissen. Mehr nicht. Ich erinnere mich dunkel. Ich hatte meinen alten Volvo vor zwei Jahren an einen in London lebenden Libanesen verkauft. Der Vertrag wurde per Handschlag geschlossen und der Preis in bar bezahlt. Es hätte mich daher viel weniger verwundert, wenn das Bundeskriminalamt angerufen hätte. Abteilung Terrorismusbekämpfung. Aber das Finanzamt? Sind Terroristen steuerpflichtig? Umsatzsteuerpflichtig?

Seit zwei Tagen räume ich nun schon die Wohnung auf. Alle Spielsachen müssen aus dem Arbeitszimmer raus. Oder besser gesagt: aus dem Zimmer, das ich dem Finanzamt gegenüber als Arbeitszimmer angegeben habe. Nichts soll Herrn Höschle zu der Frage Anlass geben: „Wird Ihr Arbeitszimmer auch als Spielzimmer genutzt?“ Niemals, Herr Höschle! Auch das Gästebett schraubte ich gestern auseinander und verstaute es vorsorglich im Abstellraum. Ein Arbeitszimmer mit Bett lässt sich wahrscheinlich nicht mehr länger von der Steuer absetzen.

So baue ich mein „Höschles’sches Dorf“, alles muss passen, alles muss genauso aussehen, wie Herr Höschle es sich wünscht oder wie ich glaube, dass er es sich wünscht. An einigen Stellen ließ ich absichtlich etwas Unordnung. Er würde den Braten sonst riechen. Sogar, was ich anziehe, habe ich mir im Voraus überlegt: eine Jeans und ein beige Cordjacket. Das wirkt locker und seriös zugleich. Hoffentlich glaubt er mir dann, dass es Belege zu diesem „Vorgang“ einfach nicht mehr gibt.

Fotohinweis: PHILIPP MAUSSHARDT KLATSCH Fragen zum Fiskus? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS