Zehn Gramm Koks am Tag

BOWIEMANIE Rockstar, Außerirdischer, Gnomenkönig: die Filmreihe „David Bowie – I’m back“ im Babylon

VON DETLEF KUHLBRODT

Als Rockstar war er der Größte. Als Schauspieler konnte er nur sich selbst spielen, wird oft gesagt. In der Filmreihe „David Bowie – I’m back“ zeigt das Babylon zehn Filme mit Bowie als Schauspieler. Das ist spannend auch wegen der vielen Querbezüge zwischen Kulturgeschichte, Biografie, Musik und Film, die die Bowieistik zu so einer interessanten Wissenschaft machen.

Auf der Bühne war Bowie ein Rockstar, der einen Rockstar spielte. D. A. Pennebakers Konzertfilm „Ziggy Stardust and the Spiders from Mars – the Motion Picture“ zeigt ihn auf dem ersten Höhepunkt seiner Karriere, beim letzten Konzert der Ziggy-Stardust-Tournee, am 3. Juli 1973 im Londoner Hammersmith Odeon. Zunächst sollte Pennebaker, der unter anderem mit seinem Bob-Dylan-Film „Don’t look back“ (1967) berühmt geworden war, nur einige Songs aufnehmen. Nachdem er jedoch die erste der zwei Londoner Shows gesehen hatte, entschied er, das ganze Konzert zu verfilmen.

Der Film ist rough, der Ton eher schlecht, was dem Zuschauer aber das Gefühl gibt, dabei zu sein. Größenwahnsinnig beginnt das Konzert mit der Neunten von Beethoven aus „Clockwork Orange“, mit Aufnahmen 15-jähriger Fans, die in die Konzerthalle strömen, und einer hinreißend überdrehten Angela Bowie. Man sieht David Bowie beim Schminken in der Garderobe. Alle rauchen. Abgesehen von ein paar Hard-Rock-Narreteien ist das Konzert perfekt; es gibt ein paar Lieder aus dem hippieesken Frühwerk, „White Ligh White Heat“ als Referenz an Velvet Underground, Jacques Brels „My Death“ als Verbeugung vor dem beliebten Chansonnier, „Let’s Spend the Night Together“, um zu zeigen, dass Bowie härter ist als die Stones, „All the young Dudes“, mit den schönen Zeilen „Speed jive don’t want to stay alive /When you’re twenty-five“, zwei Liedern der gerade erschienenen Platte „Aladdin Sane“ und vor allem „Ziggy-Stardust“-Material. Am Ende des großen Auftritts wird der Star von Sicherheitsleuten daran gehindert, näher zu seinen Fans hinzugehen; ein Fan wird von der Bühne gedrängt.

Schade, dass ein dramaturgisch entscheidender Part fehlt; bevor der Meister zu seiner berühmten Abschiedsrede ansetzt, kombiniert er seinen schönsten Rocksong, „The Jean Genie“, mit „Love me Do“ von den Beatles. Gaststar Jeff Beck hat dabei ein Gitarrensolo, fühlte sich nicht gut abgebildet oder wollte Bowie ärgern, jedenfalls untersagte er die Verwendung des Materials, das glücklicherweise immer mal wieder auf YouTube auftaucht.

Der Film wurde 1973 auf einigen Festivals gezeigt und kam erst 1983, begleitet von dem Soundtrackalbum, auf den Markt. Im selben Jahr vollendete sich die Verwandlung des verpeilten Superstars in den cleaneren Megastar. Zwei Filme mit Bowie – das Kriegsgefangenenpsychodrama „Merry Christmas, Mr. Lawrence“ (Oshima Nagisa) und der schöne Vampirfilm „The Hunger“ (mit Catherine Deneuve) liefen beim Filmfestival in Cannes, „Let’s Dance“, sein erfolgreichstes Album, war gerade herausgekommen und Bowie befand sich auf Welttournee.

Milch und Zigaretten

Ziemlich großartige Konzertausschnitte aus der Diamond-Dogs-Tournee in den USA gibt es auch in der tollen BBC-Doku „Cracked Actor“, die ein Jahr später entstand. Gespräche mit einem verpeilten Star, der in dieser Zeit 45 Kilo wog, sich von Milch, Zigaretten und Kokain ernährte und auf der Tour mit dem eigenen Rockstartod kokettierte. Eine bombastische Bühnenshow.

Beeindruckt von der BBC-Doku, entschied sich Nicolas Roeg, die Hauptrolle von „The Man who fell to Earth“ mit Bowie zu besetzen. Der Film erzählt von einem Außerirdischen, der auf die Erde gekommen ist, um nach Wasser für seinen Wüstenplaneten zu suchen. In humanoider Camouflage, mit empathisch telepathischen Fähigkeiten begabt, gründet er ein Hightechmedienunternehmen, um Geld für ein Raumschiff zusammenzukriegen, mit dem er zurück zu seinem Heimatplaneten reisen will. Es gibt eine tragische Liebesgeschichte, einige Sexszenen mit Revolver, entfremdet sitzt Bowie zwischen vielen Fernsehern und wird am Ende wie eine Laborratte erforscht. „The Man who fell to Earth“ gilt als bester Bowie-Film; angeblich verbrauchte er während der Dreharbeiten zehn Gramm Kokain am Tag.

Die teils dokumentarischen, teil nachgestellten Ausschnitte von Bowies Auftritt 1976 in der Deutschlandhalle in „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ (Uli Edel) gehören zu den beeindruckendsten Bildern der Rockgeschichte. Der Film eignet sich sehr gut, jungen Neuberlinern das alte West-Berlin nahe zu bringen. In Julian Schnabels „Basquiat“ (1996) mimt Bowie Andy Warhol; in dem Kinderfilm „Labyrinth“ (1986) des Muppets-Erfinders Jim Henson spielt er selbstironisch einen Gnomenkönig.

Ein bisschen schade ist, dass „Just a Gigolo“ (David Hemmings, 1978) in dem Programm fehlt. Der Film wurde in Bowies Berlinzeit mit Starbesetzung (Maria Schell, Curd Jürgens, Kim Novak und der letzte Auftritt von Marlene Dietrich) gedreht, floppte gewaltig, ist aber für jeden Bowie-Freund ein Muss.

■ Bis 7. Juni im Babylon