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Archiv-Artikel

Das barocke Hinterteil

Eine Woche bevor die erste Adventskerze erstrahlt, entzündet das taz.mag zum morgigen Totensonntag, dem „Gedenktag der Entschlafenen“, ein Grablicht. Die passende Beleuchtung für neue Geschichten vom Dachverband der Leichen und Untoten

von MARK SARG (Texte) und BECK (Cartoons)

Das Rotzgirl

Ein Rotzmensch wollte hoch hinaus. Da es dabei freilich seine wahre Natur weder völlig verleugnen konnte noch mochte, erhob es sich zunächst zum Rotzgirl – denn ein solches besaß in seinen Augen eben doch ungleich mehr Ansehen als ein schlichtes Rotzmensch.

Aber bis zu einer echten Rotzdame war es dann schon noch ein fast unbezwingbar weiter Weg …

Die unerträgliche Situation

Sir Abraham Wackelmaus befand sich in einer schier unerträglichen Situation. Sein Kopf steckte unter dem Talar von Bischof Hieronymus Salzhintern und war vor lauter „hingebungsvoller Ehrfurcht“ wie gelähmt.

Schleunigst tat er das wohl einzig Richtige: Er erwachte aus seinem Albtraum und beschloss, künftig vor dem Einschlafen etwas weniger lang in der Bibel zu lesen.

Die umgekehrte Autopsie

Als Mrs Melinda Mehlbrust, die von jeher eine ausgeprägte Pauschalaversion gegen die Ärzteschaft schlechthin hegte, zu Beginn der Autopsie „plötzlich und unerwartet“ aus ihrem Scheintode wieder erwachte, kannte sie wahrlich keinen Pardon. Außer sich vor Empörung, sprang sie dem vor Schreck wie gelähmten Gerichtsmediziner, Dr. Ronaldo Haferfrust, an die Gurgel und erwürgte ihn mit dem Hinweis: „Genau das hätte ich schon mit Ihrem Kolegen tun sollen, Sie ekelhaftes, zudringliches Subjekt! Dann wäre ich gar nicht erst hierher gelangt!“

Sodann nahm sie ohne Verzug die Autopsie an dem Bedauernswerten vor – um endlich einmal festzustellen, wie „eines dieser weißen Monster“ sich innerlich von sonstigen Lebewesen unterscheide. Ihr medizinisches Gutachten steht allerdings bis heute aus.

Das freche Menscherl

Ein freches Menscherl (=kleines Mädchen) streckte jedermann, der ihm entgegenkam, ganz weit die Zunge heraus.

Doch die eigentliche Frechheit war: Sobald sich jemand erdreistete, es ihm gleichzutun, biss es dem Verwegenen die Zunge ab, verschluckte sie – und drehte ihm als Dreingabe noch eine extralange Nase!

Das nutzlose Alibi

Erheblichen ehrabschneidenden Verdächtigungen sah sich die gute Mrs Blanche Schwarzbauch ausgesetzt, als ihre Nachbarin, Miss Freni Quarkrüssel, die sie vor jeder Menge Zeugen leider immer mal wieder zum Teufel gewünscht hatte, einem heimtückischen Morde zum Opfer gefallen war.

Und dabei hatte sie ein, wie man meinen sollte, perfektes Alibi. War sie doch zum fraglichen Zeitpunkt bereits selber tot. Nur beweisen konnte sie es leider nicht. Und ihr Leichnam wurde auch bis heute nicht gefunden …

Die beruhigte Leiche

„Ja, nur so kann eine Leiche aussehen!“, erkannte eine derartige spontan, als sie erstmals in den Gruftspiegel blickte.

Und beruhigt legte sie sich wieder in den Sarg.

Der blanke Horror

„Das ist ja der blanke Horror!“, rief Miss Isidora Steingfrast außer sich. In ihrem Bette lag jemand, der haargenau so aussah wie sie.

Nun lässt zwar ihr Entsetzen leider keinerlei Rückschlüsse zu auf den es auslösenden Unbekannten – sehr wohl aber auf ihre Meinung über sich selbst.

Der unartige Teufel

Ein Teufel bekreuzigte sich fortwährend auf der Straße – bis man ihn endlich wegen „groben Unfugs“ festnahm.

Denn von einem Teufel erwartet man Derartiges eben einfach nicht. Und schon gar nicht in der Öffentlichkeit!

Der nackte Mord

Ein etwas zurückgebliebener Mord beging seine Untaten stets splitternackt.

Denn so hoffte er, dass ihm seine Opfer nie ins Antlitz blickten und ihn folglich auch im Jenseits nicht wiedererkennen würden.

Das barocke Hinterteil

Bei der Restaurierung einer Kirche legte man ein barockes Hinterteil frei. Da man wegen der besonders kunstvollen und gediegenen Ausarbeitung mit Sicherheit davon ausging, dass es zu einer verschollenen Heiligenfigur gehörte, sperrte man es in einen Schrein – der wegen des ihn umgebenden Geheimnisses bald zum Mittelpunkt geradezu kultischer Verehrung geworden war.

Hundert Jahre später, bei der Generalsanierung des Gotteshauses, fand man dann allerdings mit Betretenheit den Rest der Statue – die eine überaus „gelungene“ Darstellung des Teufels gewesen war. Die braven Gläubigen hatten eben einmal mehr den Falschen angebetet. Und obendrein auch noch dessen Kehrseite!

Der heilige Unrat

„Alles bloß heiliger Schnickschnack und Unrat!“, ächzte zum wiederholten Male ein Teufel bei der jährlichen Inventur in seiner Kirche. „Wirklich ärgerlich, dass er zum Betrieb des Hauses absolut unabdingbar ist. Sowie ich jedoch in meinen verdienten Ruhestand trete, verscherble ich das ganze Zeug und lasse mir vom Erlös eine heilige Klimaanlage und ein noch heiligeres Schwimmbad in der Hölle einrichten!“

Der rettende Bart

„Gott, mein Bart hat mich gerettet!“ Zutiefst erleichtert bekreuzigte sich Mrs Frenzy Schönblum, als sie bei der Pilzsuche im Walde einem ortsbekannten, berüchtigten Wüstling über den Weg lief und dieser sich zwar zögerlich nach ihr umwandte, aber keinerlei weitere Ambitionen zeigte und schließlich missmutig weiterschlich. Und dabei war es lediglich ihr aufgeklebter Schnurrbart gewesen, den sie aufgrund einer besonderen Vorliebe stets heimlich trug.

Nun freilich sah sie sich veranlasst, ihre glückbringende Leidenschaft zu veröffentlichen und sämtlichen Frauen der Gemeinde dringend anzuraten, sich gleichfalls mit Bärten zu schmücken. Zumindest, wenn sie alleine unterwegs waren. Daraufhin soll allerdings auch der Unhold seine Strategie gründlich geändert haben.

Die merkwürdige Beichte

Anstelle seines Ohrs wandte Bischof Olmütz Hirnrüssel den Beichtwilligen stets das blanke Hinterteil entgegen. Dies schien ihm der mit Abstand geeignetste Weg, um mit den Sünden der Welt einigermaßen fertig zu werden.

Die Gläubigen indes schreckte auch das keineswegs ab. Sie erfanden sogar etliche Missetaten – nur um etwas länger im Beichtstuhl verweilen zu dürfen.

Der Dachverband der Leichen und Untoten

Schon zu Lebzeiten Reporterin aus Leidenschaft, gedachte Miss Riccarda Waldfloh, ihren Beruf auch noch danach – auf etwas „pikantere“ Weise – fortzuführen.

Ständig war sie auf den wichtigsten Friedhöfen des Landes unterirdisch mit ihrer Kamera unterwegs, um allerlei Sehenswertes – insbesondere natürlich „selige“ Prominente in delikaten oder verfänglichen Situationen – durch meisterhafte Schnappschüsse zu verewigen. Die Bilder verkaufte sie dann der Boulevardpresse, die damit regelmäßig unter Hinzufügung gepfefferter Kommentare die Klatschspalten füllte.

Die aufregende Berichterstattung fand allerdings zum Leidwesen der verwöhnten Abonnenten ein jähes Ende, als der höchst einflussreiche und mitgliederstarke „Dachverband der Leichen und Untoten“ auf Unterlassung wegen Verletzung der Intimsphäre klagte und vom Obersten Gerichtshof, dessen Präsident selbst dem Verband angehörte, voll und ganz Recht bekam.

Seither knipst Miss Waldfloh vorzugsweise Politiker und Diplomaten auf Nacktbadestränden. Doch was vordem garantiert noch für Aufsehen gesorgt hätte, lockt nun niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.

Die kluge Berufswahl

„Alles rein mechanische Vorgänge! Davon kann man wahrhaftig einiges lernen!“, kommentierte Sir Dudley Mauskopf ehrfürchtig staunend nach dem Ableben seinen systematischen und unaufhaltsamen physischen Zerfall.

Überaus beeindruckt und animiert, diese Erfahrung möglichst gewinnbringend zu verwerten, entschied er sich im nächsten Leben für den Beruf des Automechanikers.

Die WC-Familie

Ein WC-Papa (Abkürzung für WC-Papierautomat) fragte eine WC-Mama (Toilettenfrau): „Wo bleiben unsere Kinder?“ – „Soeben eingetroffen!“, strahlte die Mama und brachte einige Rollen WC-Papier herein.

Da war das Familienglück wieder vollkommen.

Der geplatzte Major

Beim Abschreiten des Spaliers bekam es Major Romuald Traumbischer mit der Angst zu tun. Er hatte vergessen, tief Luft zu holen, um seine Soldaten ordentlich anbrüllen zu können. In Panik blies er sich so gewaltig auf, dass er platzte. Nun brüllten die Soldaten, vor Lachen.

„Möchte wirklich zu gern wissen, was an einem geplatzten Major dermaßen komisch sein soll!“, wunderte er sich auf dem Weg ins Jenseits. „Verrückte Welt. War höchste Zeit, dass ich abdankte!“

Das süße Menscherl

Nur recht kurz konnte ein „süßes Menscherl“ diese Bezeichnung für sich in Anspruch nehmen – denn gleich nach der Geburt fraß es der Reihe nach Hebamme und Arzt, Mutter und Vater und zum krönenden Dessert sich selbst – ehe es wieder in der Hölle verschwand, aus der es lediglich hochgekommen war, um sich einer „routinemäßigen Pflichtübung“ zu unterwerfen.

Das unheilvolle Wesen

Ein Wesen war so unheilvoll, dass es einem bereits den Atem verschlug, wenn man nur von ihm hörte. Und damit man etwa nicht gar ersticke, wenn man von ihm liest, soll hier natürlich keinem wie auch immer gearteten Risiko Vorschub geleistet werden.

Der Henker und das Rotzmensch

Ein wegen „irreversibler Verkommenheit“ zum Tode verurteiltes Rotzmensch hatte knapp vor seiner Hinrichtung noch einen allerletzten Wunsch frei. Ohne lange zu überlegen, entriss es dem Henker, Sir Floribert Gschwindl, blitzschnell den Strick, drehte ihm eine lange Nase und richtete sich freudigst selbst. Und genoss noch lange danach seinen ungläubigen, verdutzten und vor allem enttäuschten Gesichtsausdruck.

Die magische Heilung

Bei Aufräumarbeiten in ihrem privaten Burgverlies holte sich Mrs Gelia Auffbrüster einen Schnupfen.

Sieben Tage später war wie durch Magie derselbe wieder verschwunden!

Zwiespältige Gefühle

Mit höchst zwiespältigen Gefühlen erwachte Monsignore Raffaele Fliederbart aus einem Albtraum.

Einerseits war er natürlich heilfroh, diesem entronnen zu sein – andererseits aber stellte er einmal mehr fest, dass er noch immer in einem Sarge lag …

Das holprige Geschöpf

Ein Geschöpf war so holprig, dass es in einem fort zusammenzuklappen drohte.

Doch sobald jemand leichtsinnig genug war, seine allzeit ausgestreckte Hand hilfreich zu ergreifen, machte es seine Drohung wahr, klappte – über ihm! – zusammen und nahm ihn mit in den Tod.

Um gleich darauf wieder allein – noch eine Spur holpriger womöglich – zurückzukehren …

Der Papst als Flittchen

Um einiges, was er vordem viel zu eng betrachtet hatte, möglichst rasch wieder „auszugleichen“, drehte Papst Rattlmeyer der Wendige nach seinem heiligen Tode den Spieß einfach um – und verhielt sich nun ganz wie ein ausgesprochenes Flittchen. Und dies sogar noch, ehe er neuerlich geboren war – indem er nämlich seinen zahllosen Vorgängern unterhalb des Petersdomes auf höchst drastische Weise, geradezu wahllos und penetrant, den Hof machte.

Und nur so nebenbei: Kein einziger der angeblich so in Frieden Ruhenden mochte seinem Werben widerstehen. Ganz im Gegenteil!

Der Papst als Totgeburt

Papst Vitalicus der Kräftige kam als Totgeburt zur Welt. Im Vorgriff auf seine Heiligkeit erweckte er sich aber selbst zum Leben – und ging danach des überschäumenden Temperaments wegen als „lebendigster“ Papst in die Geschichte ein, der sich zeitlebens mit Vehemenz für die Rechte der Totgeborenen aussprach.

Natürlich nur, sofern sie aufrechte und anständige Christen waren.

Der Papst als Glücksfall

Als veritabler Glücksfall für den Teufel erwies sich Papst Katastrophicus XIII.

Er gebärdete sich in seinem Amte derart „heilig“, dass er bereits nach einer Rekordzeit von drei Monaten in seinem Kessel schmorte.

Der smarte Offizier

Von so smarter Art war Offizier Barnabas von Wackernagel, dass sich sämtliche Soldaten heillos in ihn verknallten.

Rasend vor Eifersucht schickten ihn seine Vorgesetzten in die Wüste – wo sich prompt alle Kamele unsterblich in ihn verknallten. Das schönste und größte von ihnen heiratete er, worauf es ihm dankbar drei Söhne gebar – die er ebenfalls zu Soldaten ausbildete.

Erstaunlicherweise verknallten sich diese aber nicht in ihn, sondern knallten ihn stattdessen ab! Waren eben doch Kamele. Zur Hälfte.

MARK SARG, zeit- und altersloser Autor, west inkognito in Wien. Von ihm erschien 2004 im Wahine Verlag Düsseldorf der inzwischen leider vergriffene Band „Der Papst im Koffer“. BECK, geboren 1958, lebt als Cartoonist in Leipzig. Von ihm erschien zuletzt „Am Strand bei Windstärke 12“ (Carlsen Verlag, 191 Seiten, 16 Euro). Noch bis morgen zeigt die Cartoonfabrik, Krossener Str. 23 in Berlin-Friedrichshain, Werke von Beck. Das taz.mag veröffentlicht die Totensonntags-Duette von Sarg und Beck seit 2002. Nur im vergangenen Jahr konnten sie nicht erscheinen. Wegen eines Todesfalls