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Archiv-Artikel

Weil alles in einem Wohnwagen anfing

HAUSBESUCH Sie waren sofort verliebt? Nein! Doch! Nein! Doch. Bei Silvana und Thomas Prosperi am Ammersee

VON WALTRAUD SCHWAB (TEXT) UND QUIRIN LEPPERT (FOTOS)

Herrsching am Ammersee, zu Hause bei Silvana Prosperi (55) und Thomas Prosperi, geborener Busse (64).

Draußen: Ein Reihenendhaus mit Garten, vierzig Kilometer westlich von München.

Drin: Eine Mischung aus Ikea und Geerbtem. Silvana: „Ein Hausbesuch soll das werden? Sind Sie Ärztin?“

Was machen sie? Seit dreißig Jahren tingeln sie als Kabarettistinnen und „Rhythmuspoeten“ durch Deutschland und die Schweiz, mal für Geld vom Goethe-Institut, der Lach- und Schießgesellschaft, mal benefiz. Faltsch Wagoni nennen sie sich, „weil alles in einem Wohnwagen anfing“. Hundert Auftritte werden es in diesem Jahr sein. „Das langlebigste Künstlerpaar sind wir.“ Also zäh? „Natürlich“, sagt sie. Das besondere Kennzeichen der zwei: Wortkunst. Sie schreiben ihre Texte selbst, sie komponieren die Musik dazu, sie machen die Choreografien, erfinden die Rhythmusinstrumente, stellen Programme zusammen, basteln Requisiten, sind ihre eigenen Groupies, Kabelschlepper, Chauffeure.

Was denken sie? „Nie das Gleiche“, sagt sie. Und: „Bei uns wird viel gestritten. Spiel doch nicht so schnell! Iss doch nicht so schnell! Ich brauch mehr Zeit.“ Er: „Wir haben unterschiedliche Tempi.“ Sie: „Aber ich bin reaktionsschnell.“

Sie: Silvana Prosperi, italienischer Vater, schwäbische Mutter, in Stuttgart und Karlsruhe aufgewachsen mit einer älteren Schwester und einem jüngeren Bruder. „Ich hab mich nicht unterkriegen lassen.“ Volleyballspielerin der Zweiten Bundesliga bei 1860 München. Nach dem Abitur studiert sie Sport, bricht das Studium ab, fängt als Musikkritikerin beim legendären Münchner Blatt an, dem ersten Stadtmagazin, fährt ins Erdinger Moos, wo Tommi gegen den Flughafenbau ansingt, interviewt ihn, und peng, verlieben sich die zwei. Wirklich sofort? Er: „Na ja, nicht sofort.“ Sie: „Die, die dabei waren, haben es sofort gemerkt.“ Er: „Da war doch niemand dabei.“ Sie: „Doch.“ Das geht noch eine Weile so weiter. Sie: „Ich will, dass du mein Wortschatz bist.“

Er: Aufgewachsen am Starnberger See. Mutter Puppenspielerin, Vater Kunstmaler. Mit 15 fängt Thomas an, auf der Gitarre zu improvisieren, hat bald eine Schülerband – Stones, Kinks, Beatles und so was spielen sie. Er studiert Grafik und wird, politisiert durch die Studentenbewegung und seine Kriegsdienstverweigerung, doch Musiker. Politbarde wie die Leute von La Lotta Continua. „Die Italiener haben mir gefallen, da war Politaktion, Essen, Singen und Feiern eins.“ Um nah am Arbeiter zu sein, geht er in die Fabrik ans Fließband. Bei BMW, Bayerische Leichtmetall, MAN. „Wir waren für die Arbeitersache.“ Aber das gibt sich dann wieder. Er gehört zur linken Szene in München, komponiert Lieder, die später auf allen Demos gespielt werden. „Juppheidi, Juppheida, Hausdurchsuchung, Razzia.“ Um der Wohnungsnot ein Schnippchen zu schlagen, will er einen Wohnwagen, jobbt extra auf der Wiesn. So kommt er in Kontakt mit Schaustellern, und die, so sein Kalkül, wissen, wo man einen Wohnwagen herkriegt. In der Zeit lernt er Silvana kennen. Seinen Wohnwagen stellte er vor das Haus, in dem sie in einer WG wohnt – in Zamdorf, „spießiger Stadtrand von München“. Das ertragen die Nachbarn nicht. Weil er mit dem Wagen nicht bleiben kann und die WG aus dem Haus fliegt, geht es weiter. Mit einem auf sechs Stundenkilometer gedrosselten Traktor, der den Wohnwagen zieht („Dann gilt der als Pferd und man braucht kein Nummernschild“). Ampermoching bei Dachau ist ihr neues Ziel, das Gasthaus zur Post, wo New-Wave-Konzerte stattfinden. „Legendär war der Laden“, sagt sie, „als Dilettant wurde man auf der Bühne willkommen geheißen. Das kam uns entgegen.“

Was zieht sich durch bis heute? Die Musik. „Und dass wir sozialkomisch sind.“ „Und dass wir mit Sprache spielen.“ Weil die Sprache Geschlechter hat, beschäftigten sie sich auch mit den Geschlechterrollen. „Ladys first, Männer Förster“, heißt das neue Programm.

Heiraten: Nachdem sie 28 Jahre ein Paar waren, sagte Thomas, dass er heiraten möchte. Er wollte ihren Nachnamen. (Und das obwohl an der Bahnschranke in Herrsching ein Schild hängt, auf dem „Busse willkommen“ steht.) Sie: „Hör mal, heiraten ist doch mit einem Haufen bürokratischem Zeug verbunden.“ Er: „Das macht mir nichts aus.“

Kinder und Familie: Er hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung. Sie: „Ich hatte keinen Kinderwunsch.“ Sie sei die geborene Tante für Neffen, Nichten, Nachbarskinder. Kein Widerspruch, dass ihr „la famiglia“ aber wichtig ist. Jeden zweiten Tag telefoniert sie mit ihrer Mutter, mit der Schwester. Man wisse immer, wie es den anderen gehe. Man umarme und herze sich, ab und zu muss ein Haufen Leute um ihren Tisch sitzen. Sie: „Als es meinem Vater vor seinem Tod schlecht ging, waren wir wie ein Organismus.“ Wie man sich das vorstellen muss? Einer denke und fühle für den anderen. Er: „Mich hat diese Bezogenheit auf die Familie fasziniert.“ Sein Vater, 1903 geboren, habe ihn nie umarmt. „Der hat mir die Hand gegeben, ‚Hallo Thomas, wie geht’s?‘ “

Vom Wohnwagen ins Reihenhaus: Silvana: „Wohnen ist so eine existenzielle Sache. Wir haben nach der Wohnwagenepisode immer in heruntergekommenen Häusern gewohnt, wir brauchen ja viel Platz auch zum Proben und Musikmachen. So was zu mieten ist unbezahlbar.“ Thomas: „Die Vernunft hat uns gesagt, dass wir einen Ort brauchen, wo wir bleiben können. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir was Bezahlbares noch mit S-Bahn-Anbindung finden.“ Sie: „Auch Dieter Hildebrandt wohnte in einem Reihenhaus.“ Sobald Silvanas Mutter nicht mehr alleine leben will, wird sie mit einziehen ins Haus. Das ist abgemacht.

Wie finden sie Merkel? „Dass Merkel sich nicht von den Rechtsnationalen in der EU wie Orbán und Berlusconi distanziert, das sagt was über ihre Gesinnung“, sagt sie. Er: „Merkel ist wie ein Schwamm, wie ein Nichts, wie ein Neutrum.“ Sie: „Hör mal, da unterschätzt du sie.“ Er: „Erstaunlich, wie sie es schafft, so wenig von sich preiszugeben.“ Sie: „Das zeigt, wie clever sie ist.“ Er: „Unsere Freunde in Italien finden, wir sollen froh sein, dass wir sie haben.“ Sie: „Gott sei Dank, sie ist nicht testosterongesteuert. Das heißt nicht, dass ich sie mag.“

Wann sind sie glücklich? „Wenn ich auf der Bühne stehe“, sagt sie. Und er: „Wenn ich von der Bühne gehe und das Gefühl habe, es war gut.“

Nächstes Mal treffen wir Uwe „Marlaine“ Mädger in einer Scheune in Berlin. Sie wollen auch einmal besucht werden? Schicken Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de