Kalkulierte Frechheiten gegen die Intelligenzija

SOZIOTOP Neuentdeckung einer gefürchteten New Yorker Starjournalistin: Renata Adlers Roman „Rennboot“

VON FRANK SCHÄFER

Ein Buch aus fast vergessenen Zeiten, als sich Leser noch ehrfürchtig zur Literatur hin bequemten – und nicht umgekehrt. Die New Yorker Kulturszene zeigte sich kürzlich schon einigermaßen erstaunt darüber, was abseits der Konventionen des realistischen Erzählens damals, in den Siebzigern, möglich war, noch dazu Erfolg haben konnte, und begrüßte die Neuauflage von Renata Adlers ursprünglich 1976 erschienenem Debütroman „Speedboat“ mit viel Applaus. Suhrkamp zieht jetzt nach und legt Marianne Frischs alte Übersetzung von 1979 wieder auf. Könnte sich lohnen. So ein Bonsai-Hype scheint sich auch hierzulande anzubahnen, „Kult“-Attribut inklusive.

Renata Adler gehörte zu den weiblichen Leitfiguren des Dickdenker-Journalismus in den sechziger und siebziger Jahren. Von Hannah Arendt protegiert, zu den gleichen Stehempfängen geladen wie Joan Didion und Susan Sontag, war sie berüchtigt für ihre kaustischen Kritiken und kalkulierten Frechheiten, die sie dann allerdings auch zu Fall brachten. Mindestens zweimal hat sie sich unmöglich gemacht in ihren Kreisen: 1980 mit einer tollwütigen Polemik gegen ihre Kritikerkollegin Pauline Kael, die Adler den Job beim New Yorker kostete; und dann noch einmal 1999, als sie auf Buchlänge ebenso beleidigt wie beleidigend mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber abrechnete – „Gone: The Last Days of The New Yorker“.

„Rennboot“ ist ein zum Romanexperiment verklärtes Sudelbuch der Autorin. Es gibt keinen kohärenten Plot, keine durchgängigen Motive, kein wirkliches Thema. Und die Hauptfigur Jen Fain ist wenig mehr als ein Sprachrohr Adlers. Sie offenbart sich uns ganz unmittelbar, in der diskontinuierlichen, in Anekdoten, Miniaturen, Aphorismen, Dialogen, Reflexionen und Alltagsskizzen zerfallenden Beschreibung ihrer Welt, die eine ziemlich große Schnittmenge mit der Welt der Autorin besitzt. Auch Jenn ist Starjournalistin, in New York beheimatet, aber ständig unterwegs, meist im Auftrag der fiktiven Zeitung Standard Evening Sun. Dazwischen hangelt sie sich von Party zu Party, von Mann zu Mann, ist einerseits angewidert von der Schaumschlägerei, den Eitelkeiten und dem rituellen Getue der New Yorker Intelligenzija, will aber trotzdem dabei sein.

Nicht zuletzt wohl aus ethnologischem Interesse. Adler, die eine Weile an der Sorbonne bei Lévi-Strauss studiert hat, möchte verstehen, wie dieses Soziotop funktioniert und wie ihre Eingeborenen ticken, zu denen sie, durch Ivy-League-Ausbildung und elitäre Erziehung konditioniert, ebenfalls gehört. Sie beschreibt hier aber nicht nur ihre Gegenwart der siebziger Jahre, sondern kehrt auch immer mal wieder zurück ins verhasste Internat, auf den Pariser Campus, in den Hörsaal von Harvard, um darüber hinaus zu zeigen, wo das alles herkommt.

Entsprechend distanziert, unterkühlt ist der Ton dieser ethnografischen Fragmente. Bisweilen fast ein bisschen empathielos, bisweilen auch mit dieser akademisch-autoritären Bescheidwissergeste, die sie an anderer Stelle moniert. In erster Linie aber bestechen Adlers Beobachtungsgabe und Sarkasmus, der ganz gut harmoniert mit ihrem lakonischen Witz. „Eines Morgens um sechs ging Will in Jeans und ausgefranstem Sweater eine Flasche Milch holen. Ein Touristenbus fuhr vorbei, das Megaphon richtete sich auf Will. ‚Da haben wir einen‘, sprach es. Das war in den sechziger Jahren. Seither fragt er sich: was für einen?“

Dieses Buch hat damals sicher einen zusätzlichen Reiz gehabt wegen der entlarvenden Blicke, die sie auf die Eggheads der Ostküste wirft, und der kleinen Indiskretionen, die man innerhalb der Szene noch besser verstanden hat. Ein Professor erzählt ihr „von den guten Beziehungen, die er zu seinen Studenten“ unterhält. „Er kümmerte sich ganz besonders um seine Musterstudentin, mit der er, während der Dienststunden, fleißig (er wünschte, es gäbe ein angelsächsisches Wort dafür) Fellatio übte. Ich sagte, meiner Meinung nach sei es eine Art Metapher für den Vollzug akademischer Bildung, oder nicht. Dann dachte ich, da bist du zu weit gegangen. Aber nein doch. Er sagte: ‚Genau.‘“

Trotzdem braucht „Rennboot“ keinen Anmerkungsapparat. Das Buch ist gut gealtert. Vielleicht auch, weil sich die sozialen Interaktionsprozesse der Highbrow-Kulturszene nicht grundsätzlich verändert haben und sich strukturell bis heute nicht sehr unterscheiden von denen eines Provinzfußballvereins. Das notwendige, Renata Adlers Stellung innerhalb des US-Betriebs jener Jahre würdigende Nachwort fehlt hier leider. Das lässt sich nachholen beim Auswahlband ihrer Essays, den man jetzt in Angriff nehmen sollte.

Renata Adler: „Rennboot“. Aus dem Amerikanischen von Marianne Frisch. Suhrkamp, Berlin 2014, 243 Seiten, 19,95 Euro