: Der Schnitt durch die Oberfläche
TEXT/BILD/ZITAT/KOMMENTAR Die Künstlerin Barbara Kruger hat die Rotunde der Frankfurter Schirn ausgestaltet. Bei „Circus“ ersetzt die Helvetica die gewohnte Futura. Ein Gespräch über den Ursprung ihrer künstlerischen Arbeit
■ geboren 1945 in Newark, New Jersey, heute Professorin an der University of California in Los Angeles, gehört zu den großen Namen der konzeptuellen Kunst, die in den 80er Jahren in New York Form annahm. In der Rotunde der Frankfurter Schirn greift sie auf ihre bewährte Methode zurück, übermannshohe Sätze zu Wortbildern zu montieren. „Circus“ nennt sie ihre Arbeit, die um die Motive von Liebe und Hass, Suggestion und Gewalt kreist – in der ihr eigenen, konfrontativen Manier, die sich zu indirekten Wirkungen addiert.
INTERVIEW ULF ERDMANN ZIEGLER
taz: Frau Kruger, Ironie heißt, etwas zu sagen, wenn das Gegenteil gemeint ist. Ist Ihre Arbeit ironisch?
Kruger: Manches davon.
Wie stellen Sie sich die Wirkung vor, wenn man Ihre Installation betritt: laut oder leise?
Hier sind es sehr große Buchstaben. So deute ich den Raum.
Und sind große Buchstaben: laut? Im Sinne von gerufen, geschrien?
Nein. Es liest sich: „believe + doubt = sanity“. Darüber können die Leute dann nachdenken. Wie kommt es, dass Sie sich die Arbeit als Klang vorstellen?
Ich versuche, künstlerische Arbeiten möglichst nicht wörtlich zu nehmen.
Weil wörtlich zu offensichtlich ist, langweilig.
Ja. Sehen Sie eine Installation wie diese als Bild an oder als Ansammlung sprachlicher Äußerungen?
Muss es „entweder oder“ sein? Ich sehe meine Arbeit als Reihe von Versuchen. Es gibt da keinen Anspruch … auf Meisterschaft, „auf meine eigene Größe“. Es ist einfach ein Versuch, einen Kommentar zu schaffen, so wie Filmemacher und Musiker es auch tun. Tatsächlich interessiert mich der Zweifel und nicht Anspruch.
Bezieht sich der Kommentar auf die Gesellschaft ausschließlich oder auf die Kunstgeschichte gleichermaßen?
Es gäbe ja keine Kunstgeschichte, wenn es die Gesellschaft nicht gäbe. Ich würde sagen, meine Arbeit handelt davon, wie wir uns zueinander verhalten.
Sie haben vor allem mit Schwarzweiß gearbeitet, plus Rot.
Bei den frühen Arbeiten habe ich schon so gearbeitet, und in der Tat, bei dieser auch. Aber meine Videoarbeiten sind in allen möglichen Farben.
Hätten Sie die Rotunde der Schirn statt mit sehr großen Buchstaben auch mit einer Videoarbeit bespielen können?
Ich hatte vor, drei große Projektionen auf die Außenwand der Schirn zu werfen. Dann kam der Weihnachtsmarkt dazwischen: schlechtes Timing! Der vorgefundene Raum ist immer entscheidend, er ruft geradezu nach einer Lösung, und man sieht sofort, was nicht geht.
Wie kam es zu dem Gebrauch von Schwarzweiß plus Rot: eher russische Revolution oder eher Bild -Zeitung?
Das habe ich entwickelt, als ich neunzehn war und meinen ersten Job als Designer bekam, die Nummer zwei in dieser Funktion bei Condé Nast. Daher stammt die ganze Flüssigkeit im Visuellen, sofern ich sie habe. Ich machte das nur wegen des Geldes, ich hatte keinen Collegeabschluss – aber natürlich habe ich dabei gelernt, Worte in Bilder zu montieren. Die Worte waren die der Redaktion, und später waren es meine eigenen. Vom Konstruktivismus wusste ich nichts.
Sie waren in der Redaktion beschäftigt?
Ja, bei House and Garden, Mademoiselle, Vogue.
Aber nicht im Anzeigengeschäft?
Nie.
Sie haben lange mit einer ultra-europäischen Schrift gearbeitet, der Futura.
Die Geburt der Moderne, natürlich! Das war der Schnitt durch die Oberfläche. Das kam aus der Illustriertenarbeit. Aber hier ist es die Helvetica.
Über die es einen langen Dokumentarfilm gibt. Dabei stellt sich heraus, dass dies die absolute Lieblingsschrift der Anzeigenbranche gewesen ist.
Ja, aber die Franklin Gothic und die Futura auch, die ja die ältere Schrift ist. Hier, in der Rotunde, läuft die Schrift eng, aber relativ fett, und da ist die Helvetica besser geeignet. Solche Schnitte gibt es für die Futura nicht. Das ist eine Frage der Anwendung.
Das heißt, Sie arbeiten immer noch wie eine Grafikerin, nur im architektonischen Raum?
Nein, denn die Grafik arbeitet immer im Auftrag. Genau den habe ich als Künstlerin nicht.
Was Fotografie betrifft, wie wichtig sind für Sie Korn und Raster?
Wichtig, weil es darauf ankommt, was in der Vergrößerung damit passiert.
Die Hand, die Ihren berühmten Satz hält: „I shop therefore I am“, sieht so aus, als wäre sie von einem Bildschirm abfotografiert. Kann das sein?
Das kommt von der Reproduktion, es ist ein Moirée.
Wo haben Sie das Bild gefunden?
Das ist so lange her, ich kann mich nicht erinnern. Ich habe ein Bildarchiv … Nur die Videos, die drehe ich weitgehend selbst. Vor allem war ich erst einmal Schreibende, Film- und Fernsehkritik für Artforum, zum Beispiel. Ich gebe nicht vor, Expertin zu sein, aber ich interessiere mich für Worte und ihre Bedeutung. Auch da gibt es, wie bei den Fotografien, Zitate, aber das meiste ist selbst verfasst.
Hier zitieren sie Mary McCarthy: „Gewalt lässt uns vergessen, wer wir sind!“
Ja.
Gehört sie zu ihren Lieblingsschriftstellerinnen?
Nein, das nicht. Als ich kurz am College war, sagte meine Lehrerin, Diane Arbus, ich solle unbedingt schreiben, denn ich rede wie Dorothy Parker. Ich wusste noch nicht einmal, was das bedeuten sollte! Wichtige Schriftsteller für mich wurden dann Roland Barthes und Walter Benjamin.
Gute Quellen?
Nein, Schriftsteller. Ich war Autodidaktin, müssen Sie bedenken.
Immerhin waren Sie an der Parsons School of Design, Diane Arbus war Ihre Lehrerin – was haben Sie, außer dass Sie schreiben sollten, von ihr gelernt?
Sie war mein erstes Vorbild, eine Frau, die nicht sechsmal am Tag den Boden schrubbte. Sie definierte sich durch ihre Arbeit.
Darf man Sie sich damals als hoffnungsvolle junge Fotografin vorstellen?
Nein, ich hatte sogar ziemliche Probleme mit Arbus’ Arbeit. Ich fand das ausbeuterisch, ihr Verhältnis zu anderen Menschen, das fand ich sogar als junges Mädchen. Sie hat Leute in die Ecke gedrängt, ich fand das brutal, Ausdruck ihrer Verwirrung, Verachtung und des Selbsthasses.
Was Ihre Ästhetik betrifft, empfinden Sie eigentlich eine gewisse Nähe zu Gilbert und George?
Ich fühle mich schon Künstlern nah, bisweilen, aber nicht näher als anderen Leuten.
Oder wie steht es mit Laurie Anderson? Sie hat so eine bestimmte Art, Worte in den Raum zu stellen, in ihren Performances – gefällt Ihnen das?
Seit Jahren nichts mehr gesehen!
Wenn Ihre Sätze in anderen Sprachen erscheinen, wer übersetzt sie?
Leute vor Ort, die vor allem den Alltagsgebrauch der Sprache begreifen müssen.
Sie geben das nicht an literarische Übersetzer?
Doch, das ist in Frankreich geschehen, als es um die Synchronisation eines Videos ging. Wir hatten erst eine akademische Übersetzung, die den lockeren Umgang mit der Sprache überhaupt nicht eingefangen hat. Dann kam ein anderer Übersetzer ins Spiel und es wurde gelöst – mein Französisch ist gerade gut genug, um den Unterschied mitzukriegen.
Hier benutzen sie Deutsch und Englisch parallel.
Das wurde erwartet. Von mir aus hätte es auch nur auf Deutsch sein können. Aber es gibt ja in Frankfurt auch ausländische Gäste.
Was bedeutet für Sie der Übergang ins digitale Zeitalter?
Ich wollte immer in den Raum hinein; Architektur ist meine große Leidenschaft. Solange man für große Arbeiten den Siebdruck brauchte, war es monströs teuer. Mit den digitalen Techniken sind die Preise gefallen, auf etwa ein Viertel, und erst dann war es möglich. Dasselbe gilt für die bewegten Bilder. Ich habe nie Film geklebt – mit dem digitalen Schneiden ging es los.
Sie waren zuletzt in Frankfurt zur Schirn-Ausstellung „Shopping“ (2002) mit einer riesigen Installation zweier Augen vor der Fassade des Kaufhofs.
Mein größtes Projekt jemals. Das ist eben Frankfurt: dass ein Museum, die Stadt und ein Kaufhaus sich zusammentun. Unvorstellbar in den Vereinigten Staaten.
Ich dachte damals: Wie kann das Kaufhaus Ihnen das nur erlauben: „Du willst es – du kaufst es – du vergisst es“! Das ist ja geradezu geschäftsschädigend.
Für mich war das einfach toll, dass es möglich war. Aber groß ist nicht unbedingt besser als klein, oder – um Ihren Ausdruck zu gebrauchen – leise.