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Archiv-Artikel

Antonia, Ungarn: Sex als Teilzeitjob

BERLIN taz | Nein, sie sieht nicht aus, wie man sich eine Escortlady vorstellt. Sie ist 40, trägt etwas Hüftgold, hat kurze dunkle Haare und schaut einen sehr offen an durch ihre Lehrerinnenbrille. „Natürlich profitiere ich von Europa“, sagt sie. Antonia ist eigentlich Lehrerin, wollte sich aber in Richtung Psychotherapie umorientieren. Das war noch vor der Freizügigkeit, sie kam in eine deutsche Großstadt, ausgestattet mit einer Arbeitserlaubnis für Saisonarbeiter. Die lief nach sechs Monaten aus.

Was nun? Sie musste die Ausbildung finanzieren, 15.000 Euro, die Wohnung in Budapest abzahlen, und in Deutschland wohnen musste sie auch noch.

Sie hat sich bei einem Escortservice angemeldet und dort schwarzgearbeitet.

„Das kann natürlich nicht jeder“, schränkt Antonia ein. „Für mich war die Prostitution richtig, weil ich mich wieder an Männer annähern wollte.“ Nachdem ihr Freund sie verlassen hatte, habe sie eine Zeit lang keinem Mann mehr vertrauen können. „Ich wollte mich wieder mit Männern beschäftigen. Ich wollte Berührungen und Sex. Und ich wollte auch Anerkennung. Männer opfern etwas dafür, dass ich sie berühre. Sie geben mir Geld. Das hat mir so gutgetan.“

Sie ist keine typische Prostituierte, meint Antoina: „In so einem Fließbandpuff könnte ich nicht arbeiten. Ich muss beim Vorgespräch das Gefühl haben, der Mann achtet mich, und ich kann ihm etwas geben. Das ist eine ganz intime Begegnung.“ Die Männer, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, seien auch keine „Schnellficker“. Sie sei mit 40 Jahren zu alt und auch zu teuer für so etwas.

Jetzt, wo es die offizielle Freizügigkeit gibt, arbeitet sie angemeldet als selbstständige Bizarrlady, sie bietet BDSM an. Es fließe auch in die therapeutische Ausbildung mit ein: „Was ich mache, ist eine Art Sexualtherapie.“ Warum sie nicht einfach Therapeutin wird? „Das ist mir zu grau, das prickelt nicht. Und ich lebe ja allein, ich brauche auch die Berührungen und die Intimität.“ Inzwischen arbeite sie nur noch zwei bis drei Wochen pro Monat in Deutschland, das reicht, um die restliche Zeit in Budapest leben zu können.

Es gibt noch einen Vorteil, findet sie: die deutschen Männer. Es gebe in Ungarn immer noch die Tradition des Machomanns, der von der Frau sexuell bedient werde. Das sei, meint sie, auch der Grund dafür, dass so viele Ungarinnen hier unter schlechteren Bedingungen arbeiten. Sie würden den Sex gar nicht anders kennen. „In Ungarn könnte ich das, was ich hier mache, gar nicht anbieten. Die Männer würden es nicht wollen. In Deutschland gibt es Männer, die eine Begegnung auf Augenhöhe schätzen.“

Warum aber viele Männer generell so sexfixiert sind, ist auch Antonia ein Rätsel. Oft seien die Männer, die zu ihr kommen, sehr einsam. Sie haben extrem viel Angst davor, sich hinzugeben. „Was ich eigentlich glaube, ist, dass Frauen stärker sind als Männer. Sie können ihnen viel geben. Aber weil sie hier im Patriarchat in einer schlechteren Situation sind, werden sie sich ihrer Stärke nicht bewusst – sondern nur ihrer Schwäche. Und das macht natürlich schlechte Laune. Wüssten die Frauen um ihre Macht, wir hätten eine ganz andere Gesellschaft. Und keinen Fließbandsex mehr“. HEIDE OESTREICH