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Archiv-Artikel

Ani, Bulgarien: Der Stolz, dazuzugehören

BERLIN taz | Ani Kodjabasheva, 23, Kunsthistorikerin aus Bulgarien, hat in den USA studiert, ihren Master hat sie in Oxford gemacht. Jetzt arbeitet sie für ein Software-Start-up in Prenzlauer Berg, „sieben Leute aus sechs Ländern“, sie organisiert das Büro, hält den Kontakt zu Kunden und Förderern. Sie spricht fließend Englisch, fast fließend Deutsch. Das hat sie schon in der Schule gelernt, aber dass sie jetzt in Deutschland ist, in Prenzlauer Berg, den sie „fast zu schön“ findet, das hat auch mit der Europäischen Union zu tun.

Aufgewachsen ist sie in einem Dorf an der bulgarisch-rumänischen Grenze, ihre Großeltern waren Ärzte, „die kennen jeden dort“. Der Vater hat ihr gesagt, wie viel Glück sie hat, 1990 geboren zu sein, die erste Generation, die so viele Freiheiten hat.Und die hat ihre Generation sich genommen: Von ihren Freunden, sagt sie, lebt niemand mehr in Bulgarien, alle sind nach der Schule weggegangen, nach Großbritannien, Spanien, Deutschland. Eine Problem für das Land, und eine Chance zugleich. Ani hat sich auf ein Stipendium beworben, vier Jahre in New York studiert. Die Studienpläne in Europa waren ihr zu starr, zu verschult, zu wenig interdisziplinär. Nach dem Abschluss konnte sie nicht bleiben, wegen der Visa-Regeln, sie bekam ein weiteres Stipendium für einen Master in Oxford. „Das“, sagt sie, „war nur möglich, weil Bulgarien seit 2007 in der Europäischen Union ist“ – so zahlte sie nur die Gebühren für EU-Bürger. Doch auch dort konnte sie nach dem Abschluss 2013 nicht bleiben: Für die neu beigetretenen Staaten aus Osteuropa galten Sonderregeln, arbeiten durfte sie in Großbritannien erst ab 2014.

Solange reichte ihr Geld nicht, und auch die Debatten in Großbritannien, welche Angst dort vor Osteuropäern geschürt wurde, „unglaublich“. Im September kam sie nach Deutschland, wo es Ausnahmeregelungen gab für Akademiker. Berlin kannte sie schon von einem Besuch im Sommer, „alle Leute auf der Straße, eine einzige Party, wunderschön.“ Sie machte ein unbezahltes Praktikum bei einem Kunstmagazin, verbrauchte ihre letzten Ersparnisse. „Als ich das zu Hause in Bulgarien erzählt habe, waren die Leute geschockt. Du hast in Oxford studiert, und jetzt arbeitest du umsonst?“ Bis jetzt wundert sie sich sich, wie das legal sein kann, all diese Arbeit für nichts oder fast nichts im Kulturbereich. Sie konnte sich das nicht lange leisten. Im Januar, als die Regelungen ihr jede Arbeit erlaubten, suchte sie weiter. „Ich hatte Glück, einen fairen Arbeitgeber zu finden.“

Ja, sagt sie, als sie nach Berlin kam, dachte sie, sie würde länger bleiben, aber jetzt zieht es sie doch wieder weiter, sie lacht, das ist eben so. Im August geht sie an die Columbia Universität in den USA, sie hat ein Doktorandenstipendium. „Wir sind diese postnationale Generation“, sagt sie, aber das habe auch etwas mit Jungsein zu tun, mit rauskommen, reisen, die Welt sehen.

In den USA zu bleiben, kann sie sich nicht vorstellen, sie mag Europa, die Kultur, die öffentlichen Räume, die soziale Absicherung. Später, wenn sie älter ist, würde sie gern zurückgehen nach Bulgarien, sie vermisst die schönen Landschaften, das gesunde, natürliche Essen, die Menschen, „vielleicht idealisiere ich das auch, weil ich seit Jahren woanders lebe“.

Dennoch hat sie das Gefühl, dass das Land sich entwickele. Es werde europäischer, offener, die Verwaltung funktioniere besser. „Und die Probleme, die wir haben, Korruption, Armut, all das – das weiß ich jetzt, das gibt es überall anders auch.“ Wir, sagt sie, sind die erste Generation, die anfängt wieder zurückzukommen. „In den 1990ern wollten alle Menschen nur weg. Jetzt studieren die jungen Leute im Ausland, sie lernen viel, und diese Ideen bringen sie mit. Das verändert das Land. Diese Ideen von Zivilgesellschaft, von Engagement. Die sagen dann: Hey, los, lasst uns hier auch Spielplätze bauen.“

Ja, sagt sie, es gebe auch die extremen Nationalisten, aber in ihrem eher liberalen Umfeld, „da ist Europa immer noch ein Vorbild, ein Modell. „Bulgarien hat seit dem Ende des osmanischen Reiches davon geträumt, näher an Europa heranzurücken – den Stolz, jetzt dazuzugehören, konnte auch die Krise nicht zerstören.“ JULIANE SCHUMACHER