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Archiv-Artikel

Das Meeresrauschen aus dem Orchestergraben

SEEMANNSSTÜCK David Aldens Inszenierung von Brittens „Billy Budd“ feiert eine zuweilen furiose Premiere an der Deutschen Oper

Drei Stunden lang wird man den Himmel nicht sehen, eine solch finstere, geschlossene Welt bildet dieses Kriegsschiff „Indomitable“. Selbst wenn manche Szenen an Deck der „Unbezwinglichen“ spielen: Der Bühnenhimmel öffnet sich nie wirklich, und ohnehin ist im Libretto ständig von Nebel die Rede. Das Bühnenbild, das Paul Steinberg für David Aldens Inszenierung von Benjamin Brittens „Billy Budd“ an der Deutschen Oper geschaffen hat, zeichnet mit wenigen, dominanten Kulissen grafisch strenge Rahmen um die Personen. Eine bühnenfüllende Spundwand, eine röhrenförmige Schiebebühne, ein bisschen Hydraulik: daraus lassen sich ständig neue symbolhafte Bilder bauen und Variationen einer Atmosphäre kreieren, die so klaustrophobisch ist, als wäre man unter Tage – oder auch in einem U-Boot.

„Billy Budd“, entstanden nach dem gleichnamigen Roman von Herman Melville, ist eine reine Männeroper. Drei Personen stehen in ihrem Zentrum: die Titelfigur, ein unbedarfter, aber herzensguter Bursche und leidenschaftlicher Seemann, der für den Einsatz auf der „Indomitable“ zwangsrekrutiert worden ist. John Claggart, der Waffenmeister des Schiffes, ein unbarmherziger Einpeitscher, der der Mannschaft hart zusetzt. Und Kapitän Edward Fairfax Vere, der es eigentlich gut mit Billy meint. Alle mögen Billy, auch der böse Claggart, der jedoch so verunsichert von der starken Wirkung ist, die die Schönheit und Güte des Jungen auf ihn ausüben, dass er beschließt, ihn zu vernichten. Das Ganze nimmt kein schönes Ende.

„Schwule Oper“?

Keine Frage, dass es einen schwulen Subtext in „Billy Budd“ gibt; und der 1976 verstorbene Komponist, der kein Geheimnis aus seiner Homosexualität machte, wäre sicher der letzte gewesen, der sich gegen eine solche Auslegung verwahrt hätte. Eine „schwule Oper“ aber ist diese komplexe, symbolhaft angelegte Geschichte keinesfalls, das hieße den Focus zu sehr einzuengen. Regisseur David Alden sieht das im Programmheft zwar auch so, hat sich aber dennoch nicht verkneifen können, die Beziehung zwischen Billy und dem in schwarzem Lackledermantel auftretenden Claggart als sexuell aufgeladen darzustellen. Großartig, furchteinflößend, singt und spielt Gidon Saks den teuflischen Waffenmeister – eindeutig die beste Rolle im Stück.

Der im Vergleich langweilige Billy, in seiner engelsgleichen Gemütsart das allegorische Gegenstück zu Claggart, wird von John Chest mit einer glaubhaft naiven Bühnenpräsenz versehen. Er bleibt aber in der stimmlichen Interpretationskraft ausgerechnet da hinter der Figur zurück, wo sie nicht jungenhaft auftrumpft, sondern, vor der Hinrichtung, in lyrischer Todesbereitschaft schwelgt. Burkhard Ulrich als Kapitän liefert darstellerisch und musikalisch ein realistisch anzusehendes Schauspiel innerer Zerrissenheit.

Eigentümlich freie Wesen

Brittens Partitur begleitet diese disparaten Figuren mit einer vielschichtigen und klanglich durchsichtigen Musik, deren Sinnlichkeit und Plastizität unter dem Dirigat von Donald Runnicles jederzeit spürbar ist. Im Grunde übernimmt in „Billy Budd“ das Orchester eine Teilfunktion des Bühnenbilds. Die unsichtbare Anwesenheit des Meeres ist zu spüren in einer fast durchgängigen, gleichmäßigen Bewegung der Musik – mal sind es tiefe Streicher, mal Bläser, die sie liefern.

Darüber, in den oberen Schichten der Partitur, werden die Stimmen der Sänger gleichsam umspielt von häufig solistischen Passagen einzelner Instrumente, manchmal begleitend, mal kommentierend, dann wieder scheinbar losgelöst vom Geschehen, als seien dort unten im Orchestergraben eigentümlich freie Wesen am Werk.

Freier als die singenden Menschen auf der Bühne, auf der die Seeleute immer wieder als ein riesiger, klanglich furioser Männerchor in Erscheinung treten. Doch die gewaltige kollektive Kraft, die in diesem Klang liegt, kommt vor allem gegen den äußeren Feind zum Einsatz: „Gegen Frankreich!“ Gegen den Feind im Inneren, den Vernichter des Guten und Liebenswerten im Menschen, bleibt sie machtlos.

KATHARINA GRANZIN

■ Vorstellungen: 28. Mai, 31. Mai, je 19.30 Uhr. Weitere Termine unter www.deutscheoperberlin.de