: „Nicht strafbar“
Die Bundesanwaltschaft erkennt gravierende Fehler im Hoyzer-Prozess und fordert eine Aufhebung des Urteils
LEIPZIG taz ■ Selten hat sich ein Staatsanwalt so vehement für einen Freispruch ins Zeug gelegt. Über eine Stunde sprach Ankläger Hartmut Schneider gestern in freier Rede vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und kam zum Schluss: „Das Berliner Urteil im Wettskandal muss aufgehoben werden, die Angeklagten sind freizusprechen.“ Der bestochene Schiedsrichter Robert Hoyzer und der Berufswetter Ante Sapina, die sich zu konspirativen Unterredungen im schummerigen Café King in Berlin-Charlottenburg getroffen hatten, sollten nach Auffassung der Bundesanwaltschaft für die erlittene Untersuchungshaft sogar eine Entschädigung bekommen. Mindestens zehn Fußballspiele hat Sapina im Jahr 2004 mit unterschiedlichem Erfolg manipuliert. Mal war der Schiedsrichter bestochen, mal einzelne Spieler, mal ging er beide Wege. Der Erfolg war aber wechselhaft, nur vier von zehn Partien endeten wie getippt. Mal wurde der bestochene Spieler nicht aufgestellt, mal wurde ein geschenkter Elfmeter verschossen, mal endete in einer Kombinationswette das zweite (nicht manipulierte) Spiel anders als gewünscht. Dass Sapina unter dem Strich überhaupt einen Gewinn einfahren konnte, hat er den Rieseneinnahmen beim berüchtigten Pokalerfolg von Paderborn gegen den Hamburger SV zu verdanken. Hier siegte der Außenseiter, nachdem Schiedsrichter Hoyzer zwei unberechtigte Elfmeter pfiff. Im November 2005 verurteilte das Landgericht Berlin Sapina zu zwei Jahren und neun Monaten Haft, Hoyzer erhielt vier Monate weniger. Alle sechs Verurteilten, die drei Brüder Sapina, die Schiedsrichter Robert Hoyzer und Dominik Marks sowie der Chemnitzer Fußballer Steffen Karl, gingen in Revision zum 5. Senat des Bundesgerichtshof (BGH), die gestern in Leipzig verhandelt wurde. Die Anwälte ahnten schon, dass die Ankläger diesmal auf ihrer Seite stehen werden. Sie überließen deshalb das erste Wort dem aus Karlsruhe angereisten Oberstaatsanwalt Hartmut Schneider. Und der zog gleich mal über die Berliner Richter her, die zu sehr auf „Volkes Stimme und die Regenbogenpresse“ gehört hätten. Die Begründung ihres Urteils sei „bemerkenswert oberflächlich“ gewesen, so die harsche Einschätzung des Staatsanwalts. Das Strafrecht sei eindeutig überdehnt worden, um die Angeklagten verurteilen zu können. Schneider bestritt nicht die Manipulationen, er hält sie derzeit aber für „nicht strafbar“.
Das Landgericht sah einen Betrug darin, dass Sapina bei der Abgabe seiner Wettscheine unausgesprochen mitgeteilt habe, er habe die fraglichen Spiele nicht manipuliert. Durch diese Täuschung habe er sich einen Vermögensvorteil verschafft. Für Schneider ist das jedoch „reine Fiktion“. Hier liege keine Täuschung vor, denn niemand erwarte bei einem derartigen Vertragsschluss eine solche Erklärung. „Hätte Sapina am Wettschalter ausdrücklich betont, dass alle Spiele sauber seien, hätte man wohl gedacht, er sei besoffen, und ihn wieder nach Hause geschickt“, argumentierte Schneider. Kein Wunder, dass die neun Verteidiger dem Staatsanwalt beipflichteten und ihm wortreich ihren Respekt versicherten. Doch ein Freispruch ist Sapina und Hoyzer damit noch lange nicht sicher, denn das Gericht kann seine Position ganz eigenständig bilden.
Dass die Richter wohl von einem Betrug ausgehen, machte Richter Rolf Raum gestern deutlich. „Es ist anerkannt, dass der Käufer beim Abschluss eines Kaufvertrags unausgesprochen zusichert, er werde die Sache auch bezahlen. Genauso wichtig ist bei einem Wettvertrag doch auch die Frage, ob die Spiele manipuliert sind.“ Wann das Urteil verkündet wird, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.
CHRISTIAN RATH