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Archiv-Artikel

Mister Njet sitzt nicht nur in Saarbrücken

Im Bundestag beraten Sozialdemokraten über einen Ausweg aus dem Krähwinkelföderalismus. Wie könnte sich der Bund an einer nachhaltigen Ausgestaltung der Wissensgesellschaft beteiligen? Das Dumme: Die SPD selbst war dabei, als alle Bildungsmacht an die Länder vergeben wurde

VON CHRISTIAN FÜLLER

S001 ist der Saal der guten Wörter. Wissensgesellschaft, junge Generation, lebenslanges, wahlweise auch -begleitendes Lernen, Lernen im Kindergarten und im hohen Alter, Innovation sowieso. In S001 im dritten Stock des Bundestages flitzen alle Synonyme für Zukunft durch den Raum, die sich auf Bildung reimen.

Was sind das für Menschen, die sich hier versammelt haben? Sind es schlechte Verlierer? Oder unbelehrbare Utopisten? Oder hartnäckige Verteidiger dessen, was unabdingbar ist für das Wohl der Nation?

Von allem etwas. Hier spricht die SPD. Genauer: ein Sprengel der ehrwürdigen Partei, der eine Expertenrunde um sich geschart hat. Vor wenigen Monaten noch haben die Sozialdemokraten zusammen mit der CDU dafür gesorgt, dass die Föderalismusreform alle Bildungszuständigkeiten des Bundes hinweggefegt hat. Nun persifliert der Abgeordnete Jörg Tauss im Fraktionssaal der SPD einen berühmten Satz: „Wir haben eine Chance, und wir werden sie nutzen.“

Tauss, gefürchtet für seine Zwischenrufe nicht nur beim politischen Gegner, ist der dröhnende Anführer der bundesstaatlichen Irredentisten. Nicht nur die Bundesländer, so seine Botschaft, müssen bei Schule und Hochschule etwas zu sagen haben, nein, auch der Bund. Also klammert sich Tauss an den Artikel 91b des Grundgesetzes, neu eingefügt in die Verfassung. Er gehört zu dem mickrigen Rest dessen, was dem Bund an bildungspolitischer Kompetenz geblieben ist. Berlin hat danach ganz formell die Möglichkeit, für Wissenschaft Geld auszugeben. Viele der Mitstreiter von Tauss möchten auf dieses Artikelchen gestütztgar einen neuen Aufbruch in der Bildungspolitik wagen.

Das Publikum ist skeptisch.

Das Podium, das sich die SPD-Bildungspolitiker eingeladen haben, erst recht. „Seit 40 Jahren verstricken wir uns in sinnlose Auseinandersetzungen um unser Bildungssystem“, sagt Marianne Demmer, Vizechefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, „viele meinen, wir sollten es bleiben lassen, weil wir das mit einer modernen Bildung nicht mehr gewuppt kriegen.“

Was für eine Versammlung! Das Personal, das mit strahlenden Begriffen hantiert, zählt sich zur Elite der Republik. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse a. D. lauscht in einer Ecke, Staatssekretäre, Professoren, Wissenschaftsorganisationen aller Couleur – sie alle wollen das Gute, das hier durch den Bund verkörpert wird. Ulla Burchardt, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft, frohlockt: „Wenn alle wollen, dann geht fast alles.“

Später grummelt einer: Und wenn ein einziges Bundesland Nein sagt, geht gar nichts.

So ist der neue Bildungsföderalismus, den die Sozialdemokraten mit eingefädelt haben. Wenn das mächtige Saarland, Heimstatt einer einzigen Universität, Nein sagt, dann darf der Bund keinen Cent für die Hochschulen ausgeben. Andrei Gromyko, das Symbol des Mister Njet, sitzt im deutschen Bildungsföderalismus aber nicht nur in Saarbrücken. Sondern in Bremen. Oder in Magdeburg. Oder in Wiesbaden. Und so weiter. 16 Länder gibt es, ein einziges Nein reicht – und alle Räder stehen still.

Aber die Bundestagsabgeordneten der SPD würden nicht ihrer Partei angehören, wenn sie die Niederlage bei der „Mutter aller Reformen“ (Edmund Stoiber) nicht in einen halben Sieg umdeuten würden. Als Thomas Oppermann, Exwissenschaftsminister in Niedersachsen, aufzählt, was der Bund bei der Bildung hinzugewonnen hat, reibt man sich verwundert die Augen.

Die Realität ist anders, nämlich eine vollkommen fragmentierte Wissenslandschaft in Deutschland. Demnächst gibt es ungefähr zehn verschiedene Studiengebührenmodelle zwischen Kiel und München, Düsseldorf und Dresden. Wer Lehrer werden will, muss sich genau überlegen, wo er studiert, sonst muss er für den Beruf in seinem Bundesland bleiben – oder andernfalls ins Ausland gehen. Ehe eine Familie Kinder in Bremen oder Brandenburg auf die Schule gibt, denkt sie am besten über einen Umzug nach – denn schnell trennt Gleichaltrige aus diesen Ländern ein zweijähriger Lernrückstand von Kindern anderer Länder.

Eine Kostprobe der neuen wunderbaren Welt des Föderalismus bekam die Nation bei der Verabschiedung des Hochschulpaktes. Zwei Monate lieferten sich die Wissenschaftsminister hinter verschlossenen Türen ein Hauen und Stechen um 565 Bundesmillionen. Als sich die Emissäre von SPD und CDU endlich einig waren, haute – na, wer wohl! – das Saarland auf den Tisch und weg war die Einigung. Inzwischen hat man sich zwar wieder zusammengerauft – wer möchte schon eine halbe Milliarde Euro verschenken. Aber das Plazet der Ministerpräsidenten steht noch in den Sternen.

Kommt die Einigung nicht, wird es bald eine flächendeckende 100-prozentige Zulassungsbeschränkung geben. Das heißt: Mehr Studienplätze für niemanden, alles zurück auf 70er-Jahre.

Wissensgesellschaft im Zeichen des Krähwinkelföderalismus, lästert der SPD-Abgeordnete Ernst-Dieter Roßmann – und zögert keine Sekunde, auf dieser fragilen Grundlage eine nationale Bildungsstrategie zu fordern. Er nennt das Dialektik.

Jürgen Zöllner, gerade Bildungssenator in Berlin geworden, ist der Wissens-Guru der Sozialdemokraten. Wer, wenn nicht er, könnte die neue Vision formulieren. Aber, ach du Schreck, der weißhaarige Bildungsmessias kann richtig umständlich. Es gebe einen Qualitätssprung für die föderale Wissenschaftspolitik nach vorne – falls, ja falls die Länder drei klitzekleine Bedingungen erfüllten: Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln; Entflechtung der Zuständigkeiten in der Forschungsförderung; keine Hauruckaktionen wie beim Hochschulpakt.

Was Zöllner da formuliert, ist wie immer gut und klug und kompliziert. Nur klingt es wie der Appell an einen Sack Flöhe, doch mal einen Moment Ruhe zu bewahren. Er selbst sagt es so: „Das [föderale] System ist nicht gut, wenn es nur dann zusammenarbeitet, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“

Draußen vor der Tür mümmelt eine Professorin ein Brötchen. „Wissen Sie“, sagt sie, „die Föderalismusreform ist auch nur ein Gesetz. Das kann man wieder rückgängig machen.“

Das ist in etwa die zeitliche Perspektive, mit der die SPD-Irredenta arbeitet: 20 Jahre.