Vom Schrägen erzählen

KURZFILM Das „Xposed International Queer Film Festival“ lotet das Spektrum des Queeren aus und schreckt dabei vor Abwegigem, Seltsamem oder gar Verrücktem nicht zurück

Es ist dieses Spiel mit Spannungszuständen, das den Reiz der Filme ausmacht

VON CAROLINE WEIDNER

Ein 17-jähriger Junge krümmt sich in einem Badezimmer. Man sieht seinen bleichen Rücken und wie er sich eine orange Plastiktüte über den Kopf stülpt, die Öffnung eng um die Kehle schnürt, bis keine Luft mehr nach außen dringt. Und auch keine nach innen. In der nächsten Einstellung steht er einer Frau gegenüber, die ihn auffordert zu sagen, sie sei die beste Mutter überhaupt. Die Worte kommen, doch sie sind ohne Leben. Und kurz darauf, im Wald, ist da wieder diese orangefarbene Tüte. Außerdem ein dürrer Rothaariger, der dem Jungen etwas ins Ohr flüstert. Eicke Bettingas „Gasp“ war 2012 im Kurzfilmprogramm von Cannes zu sehen und ist queer im ursprünglichsten Sinne des Wortes: abwegig, seltsam, bisweilen verrückt.

„Gasp“ ist nicht nur Teil des Kurzfilmprogramms „German Shorts“ des Xposed-Festivals, sondern steht auch exemplarisch für ein Anliegen des Festivaldirektors Michael Stütz: das Spektrum des Begriffs „queer“ möglichst abzudecken, vor allem aber auch zu strapazieren. Denn „Gasp“ lässt sich in keine der (vielen) Kategorien einspeisen, die sich in den letzten Jahren ergeben haben. Ein Blick in das Programmheft des befreundeten Pornfilmfestivals genügt, um zu erahnen, wie ausbuchstabiert die diversen Spielarten des Queeren mittlerweile sind. Ein reicher Katalog in Habitus und Vorlieben, gegen den es nichts einzuwenden gibt.

Doch „Gasp“ passt da zum Beispiel nicht rein. Oder vielleicht doch? „Was ist queer eigentlich?“, fragt Stütz. Wenn das Bewusstsein und Wissen vieler Filmemacher sich deutlich sichtbar in deren Filmen niederschlägt, laufen sie dann nicht allzu leicht Gefahr, sich „nur“ in jenem Rahmen zu bewegen? Kann der „queer feminist sex positive porn“ zur semantischen Falle geraten? Derlei Fragen machen Spaß zu denken. Xposed geht ihnen seit neun Jahren nach.

Das Festival hat eine ähnliche Bewegung unternommen wie der Ort, an dem es einst lanciert wurde. Als Bartholomew Sammut 2006 damit begann, einige Kurzfilme im Berliner SchwuZ zu zeigen, war noch nicht klar, dass Xposed Jahre später die Dimension eines kleineren und doch bemerkbaren Filmfestivals erreichen würde. Das SchwuZ verließ erst kürzlich die Residenz am Mehringdamm und kann sich nun, auf ungleich größerem Terrain, in den Gemäuern der einstigen Kindl-Brauerei in Neukölln neu aufrollen.

Xposed projiziert sein Programm mittlerweile auf echte Kinoleinwände. Im Moviemento sind die mehr als 60 Filme in diesem Jahr (davon 32 von Frauen) an vier Tagen zu sehen. Man hat expandiert. Und auf diese Weise nicht nur Raum für Inhalte geschaffen, sondern auch die ökonomische Fallhöhe ein paar Meter nach oben geschraubt.

Geblieben ist hingegen der Länderschwerpunkt des Festivals. Konnte man sich 2013 durch den österreichischen Avantgardefilm gucken, konzentriert sich das Programm nun auf den Norden. Zentrum und gleichsam Patronin dieser Reise: die Schwedin Gunvor Nelson, der das Festival einen eigenen Abend gewidmet hat. Von den 60ern bis in die nuller Jahre hinein erstreckt sich die Auswahl, beginnend mit „Schmeerguntz“ (1966), einem experimentellen Abgesang auf das Ideal der US-amerikanischen Hausfrau.

Nelson selbst hat jegliche Versuche zur Kategorisierung ihrer Arbeit lässig ausgehebelt, indem sie ihre Filme mit dem Adjektiv „personal“ versah. Eine Ordnung höchst subjektiver Natur. Begriffe können herausgelesen werden. Aber sie werden nicht bedient.

Es ist dieses Spiel mit Spannungszuständen, das den Reiz der Filme und letztlich auch von Xposed ausmacht. Der Dokumentarfilm „American Vagabond“ der Finnin Susanna Helke beginnt im Sehnsuchtsort San Francisco, um dann doch einen entscheidenden Richtungswechsel vorzunehmen. Aykan Safoglus Oberhausen-prämierter Streifen „Off White Tulips“ beschreibt eine Bewegung von Istanbul über James Baldwin bis hin zu Latoya Jackson. Assoziationen, in denen Schrägen sichtbar werden. Von ihnen lohnt es zu erzählen.

■ „Xposed International Queer Film Festival“, Moviemento, Südblock, 29. 5. – 1. 6., www.xposedfilmfestival.com