: Koketterie der Mütterlichkeit
FAMILIE Eine postfeministische Kapitulationserklärung: Ayelet Waldman plädiert dafür, zu Hause zu bleiben – „Böse Mütter“
VON ANJA MAIER
Dieses Buch ist ein Abgrund. Eine Frau öffnet Lesern die Tür zu ihrem Innersten und macht dort das Licht an. Und was sehen sie? Es ist total unordentlich in dieser Frau, chaotisch, selbstverliebt, neurotisch, regressiv. Ein einziges emotionales Nackigmachen einer „Bösen Mutter“ auf 183 Seiten. Wozu das denn bitte?
„Böse Mütter“ heißt das Buch von Ayelet Waldman. Schon der Umstand, dass der Verlag entschied, den Originaltitel „Bad Mother“ – also Singular – für deutschsprachige Leser in die Pluralform umzuswitchen, sagt eine Menge über das Mutterbild und die ganze aufgebrachte Debatte hierzulande. Insofern sollte man gewarnt sein davor, das Gelesene auf bundesrepublikanische Verhältnisse anwenden zu wollen. Denn der Abgrund der Ayelet Waldman ist sehr amerikanisch.
„Böse Mütter“ ist keine Ratgeberliteratur, kein Manual für gestresste Eltern, sondern – im besten Fall – gut gemachte Unterhaltung über die Idee einer intelligenten Frau, eine okaye Mutter sein zu wollen. Im schlechtesten Fall sind die Schilderungen der Ayelet Waldman eine schöne Portion antifeministisches Erklärungsfutter für jene, die das mögen und möglicherweise auch gut gebrauchen können.
Waldmans Trick ist die Koketterie. Die böse Mutter, also sie selbst, ist eigentlich nicht nur eine gute, nein, sie ist die beste Mom, die man sich vorstellen kann. Denn sie opfert sich. Dabei ist sie klug, gebildet und gut situiert. Sie ist sprachlich virtuos, selbstironisch und auch noch mit einem Literatursuperstar verheiratet. Michael Chabon, Pulitzerpreisträger, ist der Mann an ihrer Seite und Vater der vier gemeinsamen Kinder. Und was ist seine Frau?
Eine Bauchentscheidung
Ayelet Waldman ist 46 Jahre alte Vollzeitmutter. Bevor sie das wurde, war sie Harvard-Absolventin, Rechtsanwältin, Unidozentin, Expertin für Drogenkriminalität. Aber dann lernte sie diesen coolen Chabon kennen, bekam ein Kind, dann noch ein Kind und beschloss schließlich, ab jetzt doch lieber zu Hause bleiben zu wollen, um dort noch ein paar Kinder zu bekommen. Begründung? Bitte sehr: „Ich war eifersüchtig auf Michael, der als Schriftsteller zu Hause arbeitete und lange, träge Stunden mit unserer Tochter verbrachte, ihr ihre neuen Kleider anzog und sie von der Krabbelgruppe zur Bücherei schob“, schreibt sie in ihrem Buch. „Und so räumte ich eines Tages einfach meinen Schreibtisch, brachte die eingerahmten Diplome auf den Dachboden und wurde Vollzeitmutter.“
Wie bitte? Hausfrau aus Eifersucht? Von solch einer absurden Beschlussgrundlage ward ja noch nie gehört. Aber keine Sorge, diese scheinbare Bauchentscheidung stellt sich beim Weiterblättern als der dramaturgische Kniff der Autorin heraus. Denn natürlich ist sie viel zu klug, hier ihre Argumentation enden zu lassen. Stattdessen entschuldigt sich Waldman gleich auf der nächsten Seite für ihre unemanzipierte Nur-Mutter-Rolle und führt die herrschenden Geschlechterverhältnisse ins Feld, unter denen es ein Ding der Unmöglichkeit sei, Beruf und Mutterschaft zu verbinden.
„Als wir kleine Mädchen waren“, nimmt sie Frauen ihrer Generation mit in Haftung, „wollte keine von uns später einmal Ehefrau und Mutter werden. Wir wollten arbeiten, einen Beruf haben, Karriere machen. Aber bei vielen von uns haben sich diese Ambitionen durch die Verhältnisse am Arbeitsplatz dramatisch verändert oder wurden gleich zunichte gemacht.“ Bei einem Fulltimejob seien Arbeit und Familie „keine Herausforderung mehr, sondern ein Ding der Unmöglichkeit. Früher oder später wird ein Elternteil seine Karriere opfern müssen“, tönt es wie aus einer lange abgelaufen geglaubten Zeitschleife, „und in einer Welt, in der Frauen im Schnitt nur 70 Prozent vom Gehalt eines Mannes verdienen und die Identität eines Mannes fast ausschließlich von seinem Beruf bestimmt wird, ist das fast immer die Mutter.“
Verdammte Ausrede
Selten las man eine derart dünne Kapitulationserklärung. Eine Harvard-Absolventin (deren berühmtester Kommilitone Barack Obama hieß) hört auf zu arbeiten, weil ihr die Verhältnisse nicht angemessen scheinen? Ja, es passiert, dass Frauen verzagen, es gibt Diskriminierung und Chancenungleichheit. Aber im Fall der gewitzten Ayelet Waldman klingt das nach einer verdammten Ausrede, stattdessen ein Buch schreiben zu dürfen über die Absonderlichkeiten des Mutteralltags, über den Stress intellektueller Hockey Moms und ihre familiären Krisen. Als sei Schreiben keine Arbeit.
Möglicherweise speist sich aus diesem, ihrem eigentlichen professionellen Hintergrund der Eindruck, Ayelet Waldman habe mit „Böse Mütter“ eine Art Verteidigungsschrift verfasst. Die Anwältin der Daheimbleibenden schreibt in sehr amerikanischer Manier nieder, was ihre Familie umtreibt. Von den Entwicklungszipperlein ihrer Kinder wie ADHS und die Leseschwäche der kleinen Rosie über Mutterns eigene manisch-depressive Veranlagung bis hin zur detaillierten Beschreibung einer Abtreibung und dem quälenden Entscheidungsprozess davor. Das Verbindende, der große Verzeiher und Versteher ist stets Mister Chabon, der seine Frau einfach so liebt, wie sie ist. So neurotisch und chaotisch. Und so mütterlich.
■ Ayelet Waldman: „Böse Mütter“. Aus dem Amerikanischen von Isabel Bogdan. Klett-Cotta, Stuttgart 2010, 183 Seiten, 17,95 Euro