: Jesus hat Charme
GLOBALISIERUNG Auch in Indien feiert man Weihnachten. „Bada din“ heißt das Fest auf Hindi – wörtlich: großer Tag
VON GEORG BLUME
Von Holi bis Diwali: Das hinduistische Indien hat so viele bunte, romantische, religiöse Feste. Doch die Globalisierung ist gnadenlos. Heute muss der Hindu auch noch Weihnachten feiern. Und zwar möglichst groß.
„Bada din“ – wörtlich übersetzt: großer Tag – heißt der Weihnachtstag auf Hindi. Rohit Chopra stört der Zwang zum Großen beim indischen Weihnachten. Er ist Software-Ingenieur, ein bisschen plump, 38 Jahre alt, sein Büro liegt am altkolonialen Connaught-Platz im Herzen von Delhi. Doch an diesem Vorweihnachtstag darf er nicht vor seinem Computer sitzen, sondern soll im Auftrag seines Bosses ein möglichst großes Weihnachtsgeschenk für dessen Vorgesetzten kaufen. Etwas Großes für den großen Tag hat er ihm befohlen. Mehr hat er nicht gesagt.
Also ist Chopra zum Khan-Markt gefahren, wo in Delhi die Reichen einkaufen, obwohl die Geschäfte hier in alten Ziegelbruchbuden untergebrachte sind. Teuer sind sie trotzdem. Es gibt hier „Kriti Collections“, einen Laden, der derzeit gar nichts anderes hat als Weihnachtsgeschenke. Chopra kämpft sich durch die vielen Menschen in dem kleinen Laden. Dann hat er gefunden, was er sucht: eine 1,50 Meter große Weihnachtsmannpuppe.
„Ich weiß nichts vom Weihnachtsmann, außer dass er alle Wünsche erfüllt“, sagt Chopra. „Ich weiß auch nichts von Jesus, außer dass er ein Gott mit viel Charme sein muss, so wie bei uns Lord Krishna.“ Egal. Chopra hat jetzt das passende, große Geschenk. Er wird Weihnachten wie letztes Jahr im Büro feiern. Büro-Weihnachtspartys sind in Indiens hipper Software-Branche gerade in. „Wir sind dann alle total betrunken“, sagt Chopra.
Einfach nur feiern und saufen – das geht für die einfache Mittelschicht. Punit Bhasin aber ist ein aufstrebender Jungunternehmer. Er spielt jeden Tag Tennis in einem privaten Klub. Im Delhier Luxusviertel Greater Kailash empfängt er in seiner weiträumigen Privatwohnung vor einem Kamin. Kamine sind selten in Indien. Bhasin aber ist auch ein seltener Vater: „Jedes Jahr am 24. Dezember bin ich der Weihnachtsmann“, sagt Bhasin. Er lädt dann andere Kinder ein, seine Frau backt Kuchen. Seit drei Jahren geht das schon so.
„Ich kenne mich mit Weihnachten aus, habe gelesen, wer Jesus war. Ihn gab es wirklich“, sagt Bhasin. Den Weihnachtsmann halte er für ein „universales Märchen“. Mit Glauben aber habe das für ihn nichts zu tun. Er steht auf und führt zu einem kleinen Gebetsort in seiner Wohnung. „In unserem Haustempel gibt es Bilder aller Götter“, erklärt Bhasin. Alle bedeutet für ihn: alle hinduistischen Götter.
Doch obwohl sie nicht religiös verwurzelt ist, die Vorliebe für Weihnachten ist nichts Neues für Indiens wohlhabende Oberschicht. Zum guten gesellschaftlichen Umgang gehörte es immer, sich Weihnachtskarten zu schreiben. Das taten nur Bildungsbürger, die es den englischen Kolonialherren abgeschaut hatten. Aber auch ganz unten in der Gesellschaft gab es einen Hang zum Weihnachtsfest: Denn die christlichen Missionare waren in Indien besonders unter den Unberührbaren und kastenlosen Ureinwohner erfolgreich, denen der Hinduismus nichts als Unterdrückung versprach. Umso ernsthaftere und tief religiöse Weihnachtstraditionen findet man bis heute in den abgelegenen Dschungelgebieten der Ureinwohner. „Lengkhawn zai“ nennt sich das weihnachtliche Gemeinschaftsfasten in den Wäldern Nordostindiens, das die Gläubigen mit getragenen Liedern begleiten, die fast schon wie buddhistische Sutren klingen.
Doch können alte, eigene Weihnachtstraditionen nicht den Siegeszug des globalen Kommerz-Weihnachten in Indiens großen Städte aufhalten. „Weihnachten ist super. Jedes Jahr gibt es viele Geschenke“, sagt der 12-jährige Sechsklässler Rakshit Chohan. Er besucht die Sardar Patel Vidyalaya Schule in Delhi und trägt eine Schuluniform mit weißem Hemd und blauer Hose. Seine Mutter holt ihn mit einem Kleinwagen von der Schule. Rakshit findet, dass Jesus wie der hinduistische Gott Krishna sei: „Beide haben übermenschliche Kräfte“, sagt er. Er freut sich darauf, am Weihnachtstag Trickfilme zu sehen. „Am schönsten finde ich die Filme, in denen Schnee fällt und der Weihnachtsmann erscheint“, sagt er. Beides hat er noch nie im Leben gesehen.