piwik no script img

Archiv-Artikel

Drittes Türmchen am Dom

Außerhalb Kölns gilt Daum als Scharlatan, Vielsprecher, als charismatischer Blender. Ignorante Ortsfremde halten sein Comeback für eine Kölner Krankheit

AUS DAUMTOWN BERND MÜLLENDER

Später einmal, also sehr bald, vielleicht schon im Mai 2009 oder doch erst 2011, dann aber spätestens, wenn der Kapitän des 1. FC Köln nach dem Finale der Champions League inbrünstig die Trophäe in den Abendhimmel reckt, wird man sich zurückerinnern an den November 2006: Damals hatte alles angefangen. Damals war er nach über 16 Jahren zurückgekommen, der Retter, der Erlöser, zum damals darbenden Zweitligaclub.

Nur, wann genau die zweite Ära Christoph Daum zu Köln begann, weiß schon heute niemand mehr genau zu sagen.

Die Wiederkehr war ein brillant inszeniertes Salami-Comeback. Manche werden einmal sagen, die neue Ära begann schon, zumindest verborgen in Daums großen FC-Herzen, bei der bizarren Krankenhaus-Pressekonferenz am 11.11., live im Fernsehen übertragen, umgeben von Kranken am Venentropf. Auch wenn er da noch voreilig Nein sagte, wegen der Gesundheit nach seiner Hals-OP, assistiert vom mahnenden Chefarzt. Begann alles mit der ersten Eilmeldung vom Sinneswandel am 18.? Oder mit der Bekanntgabe der Unterschrift am 19.? Sein Ja gab der Vielsprecher Daum übrigens nicht selbst kund sondern verwies hartnäckig auf seinen Anwalt. Manager Michael Meier bestätigte die Verträge dann, sie seien, so nannte er es tatsächlich: „paraphiert“.

Oder zählt der vergangene Samstag, als Christoph Daum, 53, unangekündigt im FC-Trainingscamp in Herzogenaurach auftauchte, die Spieler bei Ehre und Gewissen einvernahm? Oder – entscheidend is aufm Platz – wie die Mannschaft am Tag darauf in Fürth, mit ihm und all seiner Aura auf der Tribüne, 2:1 siegte, von groteskem Glück begünstigt, wie alle Augenzeugen sagen? Dann gälte als Beginn des Daumianischen Kalenders Sonntag der 26.11.2006 n.C., Uhrzeit Abpfiff 15 Uhr 49 und 51 Sekunden MEZ; Fürth Stadion am Ronhof 49 Grad 30 Min. nördliche Breite, 10 Grad 59 Min östliche Länge. Manager Meier ließ jedenfalls wissen, dieser erste Sieg nach acht Wochen erfolgloser Düsternis werde auch weiterhin Daums „magischen Fähigkeiten“ zugeschrieben.

Oder hat doch der Kölner Stadt-Anzeiger mit der Vermutung recht, Daum sei immer da gewesen, nur eine längere Zwischenzeit „physisch abwesend“ seit seinem Rauswurf im Sommer 1990? Zweimal war Daum mit Köln Vizemeister geworden, danach Meister mit Stuttgart, dreifacher Vize mit Leverkusen und Meister in der Türkei mit Besiktas und Fenerbahce. Die Berufung zum Bundestrainer 2000 verhinderte die vielschichtig unappetitliche Drogenaffaire und all ihre Lügen.

„Er es widder do!“, jubelt jetzt der Boulevard, Tag für Tag. Er ist wieder daheim. Vom Donner-Daum ist die Rede, vom Daum-Coup, von neuem Vitamin D(aum) für die schwächelnde Elf, von seiner „Mission des Herzens“. Kurz: von Daumagie.

Offiziell war er am Montag zurück, verfrüht sogar um 14 Uhr 55, beim öffentlichen Training vor fast 10.000 Menschen im Stadion. Eine erstaunlich nüchterne Veranstaltung: Keine Fanfarenstöße, keine Lightshow, kein Stadionsprecher. Nur er. Pur. Kaum hatte Daum den Rasen betreten, brachen die Wolken auf und die Sonne tauchte die Oberränge in ein warmes Licht.

Daum verteilte Namenskritzel, küsste Babys, scherzte, shakerte, posierte. Einmal rief eine fesche Blondine so was wie „Christoph, ich will ein Kind von Dir“, und der ganze Block lachte. Vielleicht hatte sie auch gerufen: „Christoph, da ist so viel Wind in Dir.“ Daum jedenfalls lachte mit. Während der Tribun die Tribünen abschritt, krümmten seine Spieler auf blauen Gymnastikmatten unter Anweisungen der Cotrainer ihre Oberkörper und joggten beifallsbestürmt hin und wieder her. Mit dem letzten Autogramm nach 66 Minuten wies Daum den wartenden Tross per energischem Handkantenwink in die Kabine. Seine einzige Trainingstat. Letztes Blitzlichtgewitter. Und die Sonne legte sich zufrieden schlafen.

Daum spricht von Aufbruch, Ruck, Zukunft, neuen Erfolgen und neuer internationaler Wahrnehmung des FC. Solche Sachen. Peter Klöppel, der RTL-Nachrichtenmann, sieht in Daum „das positive Lebensgefühl im Rheinland“ personifiziert. Alttrainer Udo Lattek hält Daum in Köln „für wichtiger als den Dom“. Die ersten Fans tragen T-Shirts „Mer losse de Daum in Kölle“. Vor allem soll er für immer bleiben. Auf seinem Sportanzug trägt Daum ein massives Gazi-Werbelogo. Das ist sein Privatsponsor. Gazi ist ein türkischer Yoghurt-Hersteller. Gazi ist auch ein alter osmanischer Titel für Eroberer und Herrscher.

Aber nicht nur. Vor dem Stadion brüllt am Montag ein etwa Achtjähriger: „Mit dem Messias sind wir unbesiegbar.“ Sein Vater tätschelt ihm stolz den Kopf. In der überfüllten Straßenbahn nachher redet ein frisch Pubertierender auf seinen Kumpel ein: „Eh, Sascha, Alter, guck mal hier: Der Daum hat meine Hand berührt.“ Er zeigt dem Freund die Hand. Der guckt ergriffen. „Escht?“

Woanders ist das Image des flatteraugigen Trainers weniger euphorisch: Daum gilt als Scharlatan, Vielsprecher, als charismatischer Blender. Sein geziertes Comeback auf Raten nennen ignorante Ortsfremde eine Posse, doppelte Rolle rückwärts, Burleske, mediale Amokfahrt, Kölner Krankheit. In München kommentiert Intimfeind Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern, zur Rückkehr: „Ich beiße mir auf die Zunge.“

In Köln übersetzt man Daum mit Erlöser, Heiland, Wunderheiler und eben „kölscher Messias“. Vom Ostrang wehte beim montäglichen Showtraining das Transparent „Habemus Daum“. Christoph Daum wehrt sich gegen solche übernatürlichen Überhöhungen ausdrücklich nicht. Und der Bischof? Lacht man im Dom über soviel Blasphemie oder zürnt man? „Kardinal Meisner möchte dazu nichts sagen“, lässt sein Sprecher Stephan Schmidt nach Rücksprache mit Seiner Eminenz wissen. Immerhin weiß man: Meisner ist Fan der Geißböcke und trägt bisweilen einen FC-Schal. „Da kommt man in dieser Stadt ja nicht drumherum“, sagt der Sprecher.Womöglich spürt der Kardinal, dass Daum mehr der Leibhaftige ist denn ein gottähnliches Wesen. FC-Spieler Thomas Broich gestand nach dem kurzen Auftritt des Motivators in Fürth, er habe sich danach „wie besessen“ gefühlt. Im Spiel hatte Broich dann, wegen seiner feinen Spielweise sonst „Fußball-Mozart“ genannt, wie von Sinnen einen Gegenspieler niedergetreten und Rot gesehen. Daum begnadigte den Sünder: er habe sich halt in höchster Not für die Mannschaft geopfert. Thomas Wessels, der Torwart-Hüne, sagt: „Es ist etwas ganz Besonderes, wenn dieser Mann vor einem steht.“

Früher ging Christoph Daum barfuß über Scherben und ließ seine Kicker zur Schulung der Willenskraft folgen. Sportlich ging Daum immer über Leichen: Nie setzte er auf kontinuierliche Nachwuchsarbeit, sondern verlangte immer neue, teure Topspieler. Auch jetzt in Köln, das ist Vertragsbestandteil und läuft unter dem Titel „Personalanpassung“. Der FC wird sich exzessiv verschulden, nicht nur durch Daums 2,5 Millionen Salär per annum.

So mancher Spieler wird durch den Verstärkungskurs im Winter seinen Job verlieren, zumindest den Stammplatz. Wenn der türkische Abwehrspieler Alpay Özalan euphorisch weissagt „Mit Daum kommen wir in die Champions League“, ist jeder Kölner davon überzeugt. Nur mit Alpay werden sie dort nicht hinkommen.

Daumum habent – sie haben ihren Daum zurück. Und in der fiebrigen Stadt wollen viele irgendeine Rolle bei der Daum-Wiederkehr gespielt haben. Am 11.11., dem höchsten Feiertag der Stadt, eröffnete Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) auf dem Alter Markt die närrische Zeit. Unvermittelt trat er von der Bühne ab, mit dem Hinweis, er müsse „noch mal mit Daum telefonieren“. Das Volk johlte. Jetzt tut der ausgewiesene Populist so, als habe er es tatsächlich getan und kokettierte in einem Fernsehbericht mit „einem Geheimnis“: Er, Schramma, sei keineswegs überrascht von Daums plötzlicher Umentscheidung. Und warum? Das eben, hoho, sei ja das Geheimnis.

Sehr angetan von Christoph Daum ist die große Kölner Kabarettszene. Winni Rau, Sprecher der Stunksitzung, sagt: Anfangs habe das Hin und Her ja „schon metaphysische Züge gehabt“, aber mit der Inthronisation steige „der Entertainment-Faktor ins Unermessliche“, was in Köln „ohnehin wichtiger ist als alles andere.“ Ins neue Stunk-Programm (Start: 28.12.) werde man sicher noch eine Daum-Nummer einbasteln, „vielleicht passend zu Jesus Christ Superstar“. Bei aller Begeisterung über Daum warnt Stunker Didi Jünemann: „Kabaretttexte schreiben sich jetzt nicht von selbst!“ Dennoch ist er überzeugt, dass „sich mit der Kraft des neuen Heilsbringers über Nacht alle Dauerbaustellen in Köln von selbst auflösen und dem Dom ein drittes Türmchen wächst“.

Am Dienstag – tat Daum nichts: Private Auswärtstermine, hieß es. Mittwoch begann der Alltag: Viel Training mit Präsenzpflicht in den Pausen. Der Neun-Stunden-Arbeitstag für die verwöhnten Profis sei jetzt eingeführt, rechnete der „Express“ vor. „Schluss mit lustig!“ sage „die neue Lichtgestalt“. Mittwoch und Donnerstag: Geheimtraining! Man wünscht beim FC eine ungestörter Teilhabe der Kicker an Daums spielphilosophischen Betrachtungen und mentaler Zentrierung, auch wenn der Ausschluss gerade für diejenigen Fans bitter sei, die ihren Lebensmittelpunkt zum Geißbockheim verlegt haben.

Montagabend sieht Daumtown das erste offizielle Daumspiel auf dem Weg zum Gewinn der Champions League: Köln, der Zweitliga-Achte, empfängt den MSV Duisburg, Tabellendritter. Alle 50.000 Karten sind längst verkauft. Über 73 Prozent der Online-Leser des Stadt-Anzeigers sind vom Bundesliga-Aufstieg überzeugt. Der Rest sind Düsseldorfer.