„Lebenslänglich“ für ehemaligen Juntachef

ARGENTINIEN Exjuntachef Videla wird nach der annullierten Begnadigung erneut zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Friedensnobelpreisträger Esquivel spricht von einem „weltweiten Präzedenzfall“

BUENOS AIRES taz | Lebenslange Haft für Jorge Rafael Videla lautet das Urteil gegen den heute 85-jährigen Exchef der Militärjunta. Die hatte 1976 in Argentinien die Macht übernommen. Am Mittwochabend befand ein Bundesgericht in der Stadt Córdoba den Exgeneral des 31-fachen Mordes an Häftlingen in einem dortigen Gefängnis für schuldig. Nach der damals offiziellen Version waren die 31 Gefangenen „auf der Flucht erschossen“ worden. Videla war schon 1985 zu lebenslanger Haft verurteilt worden, fünf Jahre später wurde er aber begnadigt.

Mit Videla standen weitere 28 Angeklagte vor Gericht, darunter Exgeneral Luciano Menéndez, 83. Fünfzehnmal verhängte das Gericht „lebenslänglich“, sieben Angeklagte erhielten Haftstrafen zwischen 6 und 14 Jahren, sieben wurden freigesprochen. Für Menéndez ist es damit die fünfte lebenslange Haftstrafe. Das Gericht ordnete an, dass die Männer ihre Strafe in einem normalen Gefängnis verbüßen müssen.

General Videla hatte am 24. März 1976 als Chef einer Junta die Macht übernommen und eine Diktatur errichtet. 1981 wurde er abgelöst. Zwei Jahre nach Ende des Militärregimes wurde er 1985 erstmals zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach fünf Jahren begnadigte ihn der damalige Präsident Carlos Menem. 2007 hob der Oberste Gerichtshof den Gnadenerlass auf. Seit Oktober 2008 sitzt Videla in einem Militärgefängnis. Eine Auslieferung nach Deutschland wegen der Ermordung deutscher Staatsangehöriger lehnte Argentinien ab.

In seinem Plädoyer vor der Urteilsverkündung übernahm Videla „voll und ganz meine Verantwortung. Meine Untergebenen haben nur Befehle ausgeführt.“ Der für sein hohes Alter agile Videla rechtfertigte die Machtübernahme. Der Putsch sei eine Reaktion auf den „internen Kriegszustand“ und gegen „die Übernahme des Landes durch marxistische Terroristen“ gewesen. Reue zeigte Videla nicht. Die Gräuel des Krieges müssten im Rahmen des internen kriegerischen Konflikts verstanden werden, sagte er. Er werde die ungerechte Strafe unter Protest annehmen, als weiteren Dienst für die Eintracht des Landes. Der argentinische Friedensnobelpreisträger von 1980, Adolfo Pérez Esquivel, sagte: „Diese Herren betrachteten sich als Eigentümer des Lebens und des Todes eines ganzen Volkes.“ Ihr Fundament sei die Straflosigkeit gewesen. Videlas Verurteilung sei ein Präzedenzfall – weltweit.

800 weitere Angeklagte warten auf ihren Prozess. Die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen der Diktatur (1976–83) wurde möglich, nachdem der Oberste Gerichtshof 2005 die Annullierung von Amnestiegesetzen bestätigte. Laut Menschenrechtsorganisationen wurden 30.000 Menschen ermordet oder sind bis heute verschwunden. JÜRGEN VOGT