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Archiv-Artikel

Büchermensch im Exil

Der iranische Verleger Madjid Mohit kam als Asylsuchender nach Deutschland. Auch in einer fremden Sprache dauerte es nicht lange, bis er wieder Bücher machte. Heute subventioniert er iranische Romane und Bremer Lyrik mit dem Druck von Speisekarten und einem Stadtteilblatt

Mohit hat nahezu perfekt Deutsch gelernt. Natürlich nur nahezu. Parallel spürt er die wachsende Distanz zu seiner Muttersprache

Von HENNING BLEYL

In Ägypten wurde klar, dass die gefälschten Papiere nicht sehr gut waren. „Da hatte ich zum ersten Mal Angst.“ Über Zypern kam Madjid Mohit bis auf den Frankfurter Flughafen. Eigentlich wollte der iranische Flüchtling nach Kanada, Englisch und Französisch waren ihm vertraut. Aber das waren für den Bundesgrenzschutz keine Argumente – Mohit landete als Asylantragsteller auf dem in jeder Hinsicht platten Land bei Vechta. Heute lebt er wieder von der gedruckten Sprache.

Eine Kundin betritt Mohits Geschäftsräume in der Bremer Friesenstraße. Sie will ein Plakat drucken lassen, hat aber auch ein Buchprojekt im Kopf: 2007 jährt sich Paula Modersohn-Beckers Todestag zum hundertsten Mal, dann ist da noch Marga Melchers, die Autorin des berühmten „Sommer in Lesmona“: „Ich möchte ein Buch über die künstlerischen Frauenrollen im Bremer Bürgertum schreiben.“ Mohit nickt. „Es war mein Traum, wieder einen Verlag zu haben“, sagt der 45-Jährige.

Nach einem Monat war ich endlich in der Stadt angekommen, in der ich vielleicht lange würde bleiben müssen. Eine Stadt, die mir schon beim ersten Anblick den Eindruck vermittelte, sich irgendwie zwischen Stadt und Dorf nicht entscheiden zu können

Mohit kommt aus einer Verlegerfamilie. Sein Großvater brachte das erste persisch-deutsche Wörterbuch auf den Weg – ein Generationenprojekt, das, nach jahrzehntelangen Vorbereitungen, 1337 erschien. Beziehungsweise 1958, wie Mohit mit Hilfe eines religionsübergreifenden Additionsverfahrens ermittelt. Die „Mohit-Publications“ waren führend im Bereich der Schulbücher und Lexika, sie druckten auch westliche Literatur und Werke wie Orwells „Animal Farm“ – wenn es gestattet wurde.

Mohit kann lange von den Endlosdiskussionen mit den Mullahs der Zensurbehörde erzählen, von fruchtlosen Debatten über die Legitimität von Sexualität. Und vom Bangen um die Papierzuteilung. Marquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“ wurde verboten, danach musste Mohit seinen Autoren Decknamen geben. Mit der „Fatwa“ gegen Salman Rushdie kam die Verlags-Arbeit endgültig zum Erliegen. „Als ich im Radio hörte, dass ein Autor zum Tode verurteilt ist, war Schluss“, sagt Mohit. Die Verhöre häuften sich, Mohit floh.

Ein Stück weiter Kanäle, die danach zu verlangen schienen, zu Ende gemalt zu werden. Einzelne Bänke und immer leer

Die beiden Jahre im Asylbewerberlager waren schwierig. „Sehr schwierig.“ Sobald er durfte, machte Mohit Praktika in Druckereien, lernte, so gut es ging. Dann, nach der Anerkennung als politischer Flüchtling, hatte er Glück: Für ein Jahr gab es Arbeit als Kulturreferent des – mittlerweile aufgelösten – Bremer „Dachverbands der Ausländerkulturvereine“ (DAB). Das ermöglichte Kontakte. Vor allem aber hatte der Verband eine alte Druckmaschine im Keller seines Gröpelinger Domizils.

Bremen ist beileibe keine persische Hochburg – in Hamburg mit seiner Teppichhandelstradition leben 120.000 PerserInnen, rund 30 Mal so viele wie in Bremen. Mohit ist auch kein klassischer Exil-Verleger. Er hat die deutsche Erstausgabe von Mahmood Falakis „Die Schatten“ bewerkstelligt – Falaki ist ein persischer Autor, sowohl in der Schah- als auch in der Khomeini-Zeit verboten, den sich das Feuilleton der Zeit „merken“ will. Sich auf persische AutorInnen zu beschränken, böte für Mohit aber keine Perspektive. „Es sei denn, man man macht anti-islamische Bestseller“, sagt er lachend. Aber das wäre nicht seine Sache.

Eine seltsame Stille beherrscht die Straßenatmosphäre. Es ist eine gute Gelegenheit, die Züge der Zigarette zu zählen. Dreiundzwanzig.

Mohits Leben als Verleger begann direkt nach dem Abitur, die Universitäten waren wegen der „kulturellen Revolution“ ohnehin geschlossen. Er hat, in Tausenderauflagen, sein Leben lang verlegt, abgesehen von der Zeit als Sanitätssoldat im ersten Golfkrieg. In den ersten acht Verlagsjahren im Bremer Randbezirk schaffte Mohit zehn Bücher, darunter kurios Anmutendes wie Sat Prems spiritueller Roman über die „Reine Liebe“. Die Buchstaben sind ein wenig klein geraten, auch ohne staatliche Papierzuteilung muss Mohit den Rohstoff sparsam einsetzen.

Seit seinem Umzug Anfang vergangenen Jahres in Bremens binnenkulturelles Oberzentrum, das „Viertel“, ist viel passiert. „Durchstarten“ ist fast zu vorsichtig ausgedrückt. 23 neue Titel sind herausgekommen, darunter auffallend viel Lyrik. Wichtige Aufträge wie den Druck der „Waller Umschau“ hat Mohit aus dem Bremer Westen mitgebracht, der ökonomische Unterbau ist also mitgewandert – ohne Flyer und Speisekarten gibt’s auch keine Bücher. Aber immerhin trägt die Literatur schon 30 Prozent zum Geschäft bei. Zum Bücherzusammenlegen am Wochenende kommt eine bunte Mischung von Freunden.

Eine Kreuzung, ausgestattet mit acht Hauptverkehrsampeln und acht Nebenverkehrsampeln. Nach vier Minuten und elf Sekunden weist mich die gegenüberliegende grüne Ampel an, die Straße zu überqueren

Mohit hat es geschafft, etliche „altgediente“ Bremer AutorInnen für seinen Verlag zu begeistern. Inge Buck zum Beispiel, Trägerin des Robert Geisendörfer-Preises und aktuell nominiert für den niedersächsischen Literaturpreis. Nach Erfahrungen mit anderen Verlegern erscheint ihr siebtes Buch bei „sujet“: der Lyrik-Band „An diesem Tag“ – ein gutes Beispiel für die potenzielle Schmelztiegeligkeit des Verlags. Die ebenso präzisen wie unprätentiösen Texte sind mit Computerzeichnungen einer armenischen Künstlerin kombiniert: „Ich hatte erst Angst, die Gedichte falsch zu lesen und damit etwas Intimes zu zerstören“, erzählt Marietta Armena, die an der Kunstakademie Jerewan studiert hat und sich in Bremen eine Existenz aufbaut. Jetzt, wo die Angst vor sprachlichen Missverständnissen ausgestanden ist, planen die beiden Frauen ihr nächstes Projekt: über Bremen-Bilder, wobei die Texte diesmal den Zeichnungen folgen. Mohit ist ein Verleger ohne autokratisches Gehabe, wie es dem Gewerbe manchmal zu eigen ist. Das wissen die AutorInnen zu schätzen.

Für eine halbe Stunde setze ich mich auf eine Bank, um sie vielleicht aus ihrer Einsamkeit zu befreien. Ich merke aber, dass ich Teilhaber ihrer Einsamkeit werde. Ich versuche, über die Zukunft nachzudenken. Ich habe keine Gedanken

Vor 17 Jahren hat er sein Land verlassen, ohne ein Buch in der Tasche. Für Besuche im Iran sei es auch jetzt noch zu früh, meint Mohit, aber seine Mutter durfte ihm Literaturpakete schicken. Jetzt stehen die prächtigen persischen Bände in den Billy-Regalen seiner neuen Verlagsräume. Mohit hat nahezu perfekt Deutsch gelernt. Natürlich nur nahezu, parallel spürt er die wachsende Distanz zu seiner Muttersprache: „Jetzt vermisse ich beides.“ Immerhin kann er produktiv vermissen.

Textfragmente aus: Madjid Mohit: Ein Städtchen. Sujet 7/1996. Öffentliches Verlagsfest: Sa, 19.30 Uhr, Friesenstr. 9