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Archiv-Artikel

Integration mit Gottes Hilfe

Chorprobe I: An der Kreuzberger Robert-Koch-Schule liegt der Migrantenanteil bei 84 Prozent. Ein Schüler fördert Integration auf seine Weise: Er singt mit ihnen Gospels

Wenn Yasmine ihre kräftige Stimme erhebt, verstummt der ganze Raum. Ähnlich sind die Reaktionen beim Auftritt der Sopranistin Ronja. Und auch Alex (Bariton) und Ersan (Tenor) haben Mumm, wenn es darum geht zu zeigen, welches Stimmenpotenzial sie haben. Von „Jesus washed, oh yeah Jesus washed“ singen sie. Auch „Go down Moses“ gehört zu ihrem Repertoire. Auf die Frage, was ihre türkischen und arabischen Mitschüler denken, wenn sie von „Jesus and the Lord“ singen, antwortet Sarana (Alt): Viele wüssten nicht, dass der Chor christliche Lieder singt. „Das englische Wort für Jesus kennen sie gar nicht.“

Es ist die vorletzte Probe vor ihrem ersten Gospel-Konzert heute Abend in der Kreuzberger Christuskirche. Sie, das sind 21 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 16 und 20 Jahren der Kreuzberger Robert-Koch-Oberschule. „Phoenix“ heißt der Chor; sein Leiter ist kein besonders engagierter Musiklehrer, sondern Marcús Schröder, Schüler der zwölften Klasse.

„Natürlich ist es etwas anderes, an einer Kreuzberger Schule mit so vielen Migranten muslimischen Glaubens einen Chor zu starten, der dann auch noch christliche Lieder singt“, sagt der 20-Jährige. 84,1 Prozent sind SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft, im Chor liegt der Migrantenanteil bei knapp der Hälfte. Probleme habe er aber weniger damit, dass zu wenig Schüler Interesse zeigen würden, sagt Marcús, sondern vielmehr mit manchen Lehrern.

Argwöhnische Blicke

690 SchülerInnen besuchen die Robert-Koch-Oberschule. In der Selbstdarstellung im Internet heißt es: Zu den Besonderheiten gehören Förderunterricht in Deutsch als Zweitsprache und Zusatzangebote in der Oberstufe wie Darstellendes Spiel, Philosophie, Informatik. Von der Chorgruppe ist nicht die Rede. „Viele Lehrer finden unser Engagement gut“, sagt Marcús. Aber es gebe genauso viele, die ihn argwöhnisch beäugen würden. „Wahrscheinlich sind sie es nicht gewöhnt, dass gute Initiativen auch von Schülern kommen können.“

Marcús ist erst vor anderthalb Jahren vom Oderbruch nach Berlin gezogen. Er war bei der Landeskirche in Brandenburg aktiv und bekam früh eine musikalische Ausbildung in Klavier und Gesang. Kaum war er an seiner neuen Schule, gründete er den Chor. „Kulturell war auf der Schule nichts los“, erzählt Marcús. Zumindest für die Weihnachtsfeier müsse es doch etwas geben, dachte er sich. Über Lehrer bekam er einige Namen genannt, von Schülern, die singen können. Sechs Interessierte kamen zum ersten Treffen. Doch schon das Weihnachtskonzert wurde zu einem großen Erfolg. Inzwischen ist der Chor auf 21 Mitglieder angewachsen.

„An der Schule gibt es muslimische Türken, atheistische Türken und arabische Muslime, die sich untereinander auch wiederum unterscheiden“, erzählt Sarana. „Wir sind alle verschieden – und doch finden sich immer wieder auch gemeinsame Interessen.“ Dazu gehöre unter anderen die Musik. Sie selbst könne nicht nachvollziehen, warum man als gläubige Muslimin nicht in einer Kirche auftreten könne. „Es ist doch ein Gotteshaus.“

Im Übrigen: Auch die deutschen Lehrer würden nicht alles vom christlichen Glauben verstehen, erzählt Ronja. „Beim englisch ausgesprochenem Wort ‚Amen‘ hätten manche gedacht, sie sängen ‚hey man‘.“ FELIX LEE

Gospelkonzert der Chorgruppe Phoenix heute, 20 Uhr, in der Christuskirche, Dieffenbachstraße 39, Eintritt: 4 €