: Vitaminspritze für Studis
UNI-MENSEN Zwei Wochen lang gibt es fast nur frisch zubereitetes Essen mit regionalen Zutaten. Initiiert hat das der Verein NAHhaft
VON KLAAS-WILHELM BRANDENBURG
Es ist Mittagszeit und wie immer herrscht dichtes Gedränge in der Mensa der Technischen Universität (TU), der zweitgrößten Berlins. Hier holen sich jeden Tag rund 4.000 Studierende ihr Essen: von Currywurst über Leipziger Allerlei bis hin zu veganer Kartoffelsuppe. Seit Montag ist ihnen eines gemein: Das Gemüse kommt fast vollständig aus der Region. Und: Alle Gerichte sind frisch gekocht und nicht wie sonst oft aus tiefgekühlten Zutaten.
Zu verdanken ist das vor allem Lukas Fesenfeld und Paula Voigt. Zusammen mit drei anderen gründeten die beiden 25-Jährigen im März 2013 den Verein NAHhaft. Mittlerweile zehn Mitglieder stark, will der die Ernährung der BerlinerInnen verbessern, die in öffentlichen Kantinen essen. Denn: „Zurzeit ist es oft so, wie Brecht es mal beschrieben hat: Erst kommt das Fressen, dann die Moral“, meint Lukas Fesenfeld.
Die Mitglieder des Vereins haben unterschiedlichste Hintergründe: Einstige BWL-Studenten sind genauso dabei wie studierte Stadtplaner und Übersetzer. Paula Voigt studiert an der Hochschule Eberswalde Ökoagrarmanagement, Fesenfeld war bis September an der Hertie School of Governance und studierte Public Policy, das ist neudeutsch für Politikwissenschaften. Kennengelernt haben sich die beiden per Telefon. Und doch klingt es fast wie eine romantische Geschichte, wenn Fesenfeld rückblickend erzählt: „Ich hab Paula angerufen und es war, als ob wir uns schon immer gekannt hätten.“
Voigt, die ihre Bachelorarbeit über die Versorgung der TU-Mensa geschrieben hat, war da bereits Mitglied im „Qualitätszirkel“ der MensaleiterInnen, in dem neue Produkte ausgetestet werden. Fesenfeld dagegen kannte die Mensen nur als Besucher. Er sollte durch die Arbeit im Verein erleben, wie komplex die tägliche Versorgung tausender Studierender ist. „Landwirte, Einkäufer, Verbraucher: All diese Beteiligten haben im Moment einfach zu verschiedene Perspektiven, als dass es gut funktioniert“, sagt Paula Voigt. „Wir wollen sie wieder an einen Tisch holen.“ Dafür haben sie zunächst 37 Landwirte aus Brandenburg und das Studentenwerk zusammengebracht. Seit Montag beliefern die Bauern, alle aus einem Umkreis von 180 Kilometern, die zwölf größten Mensen Berlins mit ihrem Gemüse. 25.000 Menschen essen dort täglich.
Die Aktion dauert zunächst zwei Wochen. Aber alle Landwirte wollen auch danach langfristige Beziehungen zum Studentenwerk aufbauen. „Viele Bauern waren schon bei unserem ersten Anruf begeistert“, erinnert sich Paula Voigt. Kein Wunder, denn für die Landwirte bietet die Kooperation etwa den Vorteil, dass ihnen zumindest ein Teil ihrer Ernte garantiert vom Studentenwerk abgenommen wird.
Mit den zwei Aktionswochen hilft NAHhaft außerdem der Berliner Verwaltung auf die Sprünge. Denn laut einem Beschluss des Abgeordnetenhauses von 2006 sollen eigentlich 2015 schon 15 Prozent aller Lebensmittel in öffentlichen Einrichtungen bio und möglichst aus der Region sein, 2030 sollen es 30 Prozent sein. Was bisher dafür getan wurde oder wie weit man mit der Umsetzung des Beschlusses schon ist, konnte der taz allerdings niemand beantworten – keine Senatsverwaltung fühlt sich offenbar dafür zuständig.
„In der Vergangenheit gab es zwar immer wieder Impulse aus der Verwaltung oder von einzelnen Erzeugern“, meint Lukas Fesenfeld. „Aber es fehlt an einer Organisationsstruktur, die diese Impulse bündelt und praktisch auch vorantreibt.“ Er zweifelt daran, dass die öffentliche Hand diese Koordination leisten kann. Schließlich seien in Zeiten von Spardruck die Kapazitäten begrenzt und ein Netzwerk mit Bauern aus der Region aufzubauen eine langwierige Sache.
Obwohl der Beschluss des Abgeordnetenhauses auch mehr Bioessen in die Mensen bringen will, verfolgt der Verein dieses Ziel eher halbherzig: Nur etwas mehr als die Hälfte der Landwirte, die das Studentenwerk in den zwei Wochen beliefern, sind Biobauern. Paula Voigt verweist da auf die Verantwortung der Studierenden: „Es ist nicht möglich, zu den Preisen, die die Studenten bereit sind zu zahlen, alles in Bioqualität zu beschaffen.“ Und Fesenfeld ergänzt: „Man kann ja nicht per se sagen, dass jeder Ökobetrieb nachhaltige Landwirtschaft betreibt.“ Außerdem wolle man keine kleinen konventionellen Betriebe benachteiligen, die sich die mitunter teure Umstellung auf Bio einfach nicht leisten könnten.
NAHhaft will das Projekt zudem wissenschaftlich begleiten und auswerten. So soll eine Umfrage unter den MensabesucherInnen herausfinden, wie viel die Studierenden bereit sind, für regionales und nachhaltiges Essen zusätzlich zu bezahlen. Außerdem organisiert der Verein während der zwei Wochen Vorträge in den Mensen über nachhaltige Landwirtschaft oder ihre klimatischen Auswirkungen, etwa mit Experten aus dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Und damit die Studierenden wirklich sehen, wo ihr Essen herkommt, präsentieren sich die Landwirte aus der Region, die das Studentenwerk beliefern, an Ständen in den Mensen.
Und schon jetzt ist sicher: Die regionalen Wochen sollen in einem halben Jahr wiederholt werden. Das Berliner Studentenwerk war von der Idee so überzeugt, dass es diese Zusage bereits im Voraus gab.