: Das Leben, die Liebe, die Tat
ANARCHIE 200. Geburtstag von Michail Bakunin
Er arbeitete nie für Geld, lebte aber in seinen letzten Lebensjahren in einer prächtigen Tessiner Villa, die sein Freund Carlo Cafiero finanzierte. Er war für die Emanzipation der Frauen, verbot ihnen aber das Rauchen. Er war für die Befreiung aller Menschen, hetzte aber gegen Juden und Deutsche. Gäbe es eine Rangliste widersprüchlicher und verteufelter Personen, erhielte er einen Spitzenplatz. Seine Gegner, Feinde und Neider wurden an Boshaftigkeit und Intrigenspielen nur von ihm selbst übertroffen.
Gemeint ist der russische Sozialrevolutionär Michael Bakunin – Anarchist wurde er erst als fast 50-Jähriger –, der heute vor 200 Jahren als Spross einer Adelsfamilie geboren wurde. Statt einer Jugend durchlebte er vier Jahre lang die Knochenmühle der Artillerieschule in St. Petersburg. Danach begann sein Leben in der Revolte – gegen die Eltern und gegen die Armee, aus der er 1835 entlassen wurde. Er notierte: „Nun bin ich frei. Ich pfeife auf alles, ich bin mein eigener Weg.“
Der verlief abenteuerlich. Das Studium in Moskau brach er ab und floh – Schulden hinterlassend – nach Berlin. Sein Fazit: „Ich begriff schließlich, dass das Leben und die Liebe und die Tat nur durch das Leben, die Liebe und die Tat erfasst werden können“ – nicht durch Studieren.
Leben, Liebe, Tat – Bakunin lebte von nun an mit seinen politischen Freunden – im Dialog und Streit darüber, wie die revolutionäre Tat aussehen müsste. Alle Fesseln abzustreifen, jede Herrschaft zu bekämpfen, jede Regierung zu beseitigen und alle Autoritäten – einschließlich Gott – zu stürzen, das war „die heilige Sache“, der er sich verschrieb. 1848 war er bei den Revolutionen dabei – im Februar in Paris, im März in Frankfurt, im Juni in Prag und im Juli in Berlin. Spekulationen über bevorstehende Revolutionen bildeten fortan sein Lebenselixier. Er beteiligte sich am Dresdner Aufstand im Mai 1849 und wurde am 10. 5. 1849 verhaftet, womit für ihn ein fast dreizehn Jahre dauerndes Leben in Gefängnissen und in der sibirischen Verbannung begann, das 1861 endete. In diesem Jahr floh er über Japan und die USA nach Europa.
Mittellos vagabundierte er kreuz und quer durch Europa – von der Polizei fürsorglich beobachtet. 1864 näherte er sich der von Karl Marx in London gegründeten Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA). Gegenüber Marx’ „autoritärem“ vertrat Bakunin einen „libertären Kommunismus“, in dem weder Nationen noch Staaten, Parteien oder Kirchen Macht ausüben sollten. Marxisten und Bakunisten gerieten in einen erbitterten Streit. Nach 1870 lebte Bakunin in der Schweiz, wo er am 1. 7. 1876 starb und in Bern begraben wurde.RUDOLF WALTHER