Die Lehrer im Schatten

Studie: Ohne Lehrbeauftragte läuft an Berliner Hochschulen nichts mehr. Sie ersetzen die Professoren und machen deren Arbeit. Lukrativ ist der Job nicht, und Karriere kann man auch nicht machen

VON MARKUS WANZECK

Lehrbeauftragte an Berliner Hochschulen ersetzen immer mehr den ordentlichen Professor und übernehmen die wissenschaftliche Ausbildung der Studierenden. Dabei erhalten die nebenberuflichen Dozenten, welche – wie einmal angedacht – die theoretische Ausbildung der Universitäten und Fachhochschulen mit praktischen, berufsnahen Einsichten ergänzen sollen, häufig eine schlechte oder gar nur symbolische Bezahlung. Zugleich werden sie unverzichtbarer für die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebs. Sie sind vielerorts Ersatz, nicht mehr Ergänzung des festangestellten Hochschulpersonals. Dies geht aus einer Umfrage unter Vertretern dieser Berufsgruppe hervor, die vom Institut für Soziologie an der Freien Universität (FU) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) durchgeführt wurde.

Die Ergebnisse der Umfrage wurden von den FU-Soziologen Irmtraud Schlosser und Wolfgang Clemens vorgestellt. 100 der 800 angefragten Lehrbeauftragten hatten sich an der Studie beteiligt. Insgesamt unterrichten an den Berliner Universitäten und Fachhochschulen derzeit rund 4.000 Lehrbeauftragte. „Damit bekommen wir zwar nur eine Teilgruppe in den Blick“, sagt Clemens. Allerdings, so der FU-Professor, habe diese Momentaufnahme aufschlussreiche Erkenntnisse gebracht: Für 46 Prozent der Befragten stellt die Lehrtätigkeit die – schmale – Haupterwerbsquelle dar. 60 Prozent gaben an, über ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro zu verfügen.

Andererseits antworteten 73 Prozent der Befragten, dass sie Pflicht- oder Wahlpflichtveranstaltungen anbieten – Veranstaltungen also, die in den Kernbereich der Hochschullehre fallen. „Lehrbeauftragte sichern in größer werdendem Umfang die Aufrechterhaltung des Studienangebots“, kommentiert die Soziologin Irmtraud Schlosser diese Zahlen. David Bowskill von der Arbeitsgemeinschaft Lehrbeauftragte der GEW fügt hinzu: „In Berlin gibt es 83.000 finanzierte Studienplätze, bei 140.000 Studierenden. Wen wundert da die Tendenz zum billigen Hochschuldienstleister?“

Rund 10 Prozent der sogenannten Regellehre wird an den Berliner Hochschulen von wissenschaftlichem Personal mit einem befristeten Lehrauftrag durchgeführt. Pro Lehrveranstaltungsstunde werden in der Regel zwischen 21,40 und 30 Euro gezahlt – die Vor- und Nachbereitungszeit, die meist ein Vielfaches beträgt, bleibt unbezahlt. Zudem verfügen die Dozenten über keinerlei Planungssicherheit. Sie müssen sich semesterweise von Lehrauftrag zu Lehrauftrag hangeln. Volker von Prittwitz, Politikwissenschaftler an der FU, bezeichnet diese prekarisierte Berufsgruppe darum als „Betteldozenten“.

Dass Promovierte und Habilitierte sich dennoch quasi-hauptberuflich für diese unterbezahlte Lehrtätigkeit entscheiden, liegt an der Karrieresprungbrett-Aura der Lehraufträge. Akademische Meriten sind die Voraussetzung für eine Festanstellung. Allerdings stellt sich der akademische Apparat zunehmend auf eine Auslagerung der Lehre an Niedriglohn-Dozenten ein.

Schlosser stellt dazu, mit Blick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs an ihrem eigenen Institut, fest: „Neben der Karrieremotivation gibt es immer öfter einen weiteren Grund, Lehraufträge anzunehmen: Alternativlosigkeit.“