: Hunderttausende auf Beiruts Straßen
Im Libanon spitzt sich der Machtkampf zwischen der antisyrischen Regierung und der prosyrischen Opposition zu. In der Hauptstadt Beirut sind alle Zufahrtsstraßen blockiert. Die Hisbollah kündigt wochenlange Proteste gegen die Regierung an
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Seit Wochen hatte er sie warnend angekündigt, nun hat Hisbollahchef Hassan Nasrallah seine Drohung von Massenprotesten zum Sturz der libanesischen Regierung wahrgemacht. Damit geht der Machtkampf zwischen der antisyrischen Regierung des Ministerpräsidenten Fuad Siniora und der prosyrischen Opposition in einen neue Runde. „Siniora raus!“, riefen hunderttausende Demonstranten im Chor und schwangen die libanesische grün-weiße Nationalflagge mit Zedernbaum, während im Hintergrund Lautsprecher den Platz im Zentrum Beiruts mit nationalistischen Lieder beschallten.
Anhänger der Regierung werfen der Hisbollah und ihren Verbündeten vor, wieder die alten Tage herbeizuwünschen, in denen der syrische Nachbar die Geschickte des Landes von Damaskus aus lenkte. Die Hisbollah und ihre Anhänger bezichtigen die Regierung, US-hörig zu sein und die Opposition zu unterdrücken. Die Hisbollah fordert für sich und ihre Verbündeten ein Drittel der Kabinettssitze und ein Vetorecht bei wichtigen Regierungsentscheidungen. Die Proteste waren seit Wochen angekündigt, aber zunächst nach dem Mord am antisyrischen Industrieminister und christlichen Politiker Pierre Dschemayel letzte Woche verschoben worden. Die Polizei schätze die Zahl der Protestierenden auf 800.000, während die Hisbollah von einer Million Demonstranten sprach, einem Viertel der libanesischen Bevölkerung. Sämtliche Zufahrtsstraßen der Stadt waren bereits zur Mittagszeit von Fahrzeugen blockiert.
Die Hisbollah hatte vor allem ihre Anhänger aus dem Süden mobilisiert, und es waren auch unbewaffnete Männer des Hisbollah-eigenen Sicherheitsapparats, die sich stets zwischen die Demonstranten und dem libanesischen Militär postierten, um Zusammenstöße zu verhindern. Die Armee, die im Zentrum Beiruts massive Präsenz zeigt, hatte den Auftrag, sich neutral zu verhalten, aber gleichzeitig die Regierungsgebäude vor jedem Übergriff zu schützen. Neben Hisbollah, nimmt auch die schiitische Amal-Partei und die von christlichen Politiker Michel Aoun angeführte Freie Patriotische Union an den Protesten teil.
Die Organisatoren scheinen dem Muster ähnlicher Proteste in Osteuropa zu folgen. Zelte, Essen und Generatoren wurden an die Demonstranten ausgeteilt. Aus Hisbollah-Kreisen verlautete, dass man sich auf „lange Tage der Unzufriedenheit“ einrichte, die mindestens eine Woche andauern sollten, je nachdem wie lange es dauern würde, bis die Regierung stürzt.
Zuvor hatte in Beirut ein Krieg der Worte stattgefunden. Hisbollah-Chef Nasrallah hatte in einer Fernsehansprache mobil gemacht: „Wir rufen alle Libanesen auf, an dieser friedlichen Demonstration teilzunehmen, damit wir die unfähige Regierung loswerden, die ihren Auftrag nicht erfüllt hat.“ Die Regierung gab sich unnachgiebig. „Wir werden keinen Staatsstreich in unserem demokratischen System zulassen“, sagte Ministerpräsident Fuad Siniora gestern im Fernsehen. „Wir werden unseren Kurs halten, denn unsere Regierung ist legitim, entspricht der Verfassung und hat das Vertrauen des Parlaments.“
Die Regierung schreckt bisher davor zurück zu Gegendemonstrationen aufzurufen. Zu groß ist die Angst vor einem Déjà-vu des 16-jährigen Bürgerkriegs, der das Land bis in die 1990er-Jahre erschüttert hatte. Der Chef der Regierungskoalition im Parlament, Saad Hariri forderte seine Anhänger auf, Gegendemonstrationen zu unterlassen. Siniora appellierte an seine Landsleute, gegen alle Bedrohungen standhaft zu bleiben. Der Libanon stünde „vor entscheidenden Tagen“.
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