DAS WORT DES MONATS: ARBEITSKAMPFMITTELFREIHEIT
: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt

HELMUT HÖGE

Das Wort des Monats: Arbeitskampfmittelfreiheit, in Gewerkschaftskreisen kurz AKMF genannt. Darunter versteht man unter Gewerkschaftern von Ver.di etwa „Flashmob-Aktionen“, also das mit modernster Elektronik zusammengetrommelte Widerstandspotenzial. Mob kommt übrigens von lateinisch „mobile vulgus“, nervöses Volk, und wurde zuerst im brutal kapitalistischen England der Moderne übersetzt in mobile people.

Zurück zu den Gewerkschaftern: Ver.di hatte vor Jahren per Handy und SMS eine einstündige Streikaktion in einer Berliner Supermarktfiliale organisiert, in der Streikbrecher arbeiteten. „Dabei suchten rund 40 Menschen die Filiale auf, kauften Cent-Artikel und verursachten dadurch Warteschlagen an den Kassen. Außerdem packten sie Einkaufswagen voll und ließen diese dann stehen“ – so berichtete es damals die Berliner Zeitung. Der Handelsverband wollte daraufhin empört ein Verbot solcher Aktionen durchsetzen und klagte 2007 dagegen.

Nun, sieben Jahre später, entschied das Bundesverfassungsgericht: Flashmobs sind mit dem Grundgesetz vereinbar. In der Verfassung sind die Mittel eines deutschen Arbeitskampfs nicht auf traditionelle Streiks und Aussperrungen beschränkt. Mit anderen Worten: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Infantile Streikjacken

Das können zum einen die fiesesten Arbeitgebertricks und -gemeinheiten sein, solange sie als Teil des Ringens zwischen Kapital und Arbeit erkennbar bleiben. Dasselbe gilt nun auch auf der anderen Seite, für die gewerkschaftlichen „Blitzaktionen“: „Die Grundrechte des Arbeitgebers“ würden dadurch nicht verletzt, urteilten die Karlsruher Richter.

Der Handelsverband war darob laut Bild-Zeitung arg „enttäuscht“, Ver.di hingegen „begrüßte“ den Beschluss: „Wir sind nicht verpflichtet, Streiks immer nur mit Trillerpfeifen und Transparenten durchzuführen“, teilte ihr Sprecher Christoph Schmitz mit. Zumal diese Ver.di-Streikjacken-Aktionen immer mehr den Charakter einer gewerkschaftlichen Infantilisierungsmaßnahme annehmen.

Der per SMS aktivierte Flashmob wird dagegen als „Mittel des modernen Arbeitskampfs“ gelobt. Dieser begann recht eigentlich, als die Faxgeräte in die Betriebsrats- und Gewerkschaftsbüros Einzug hielten: Fortan wurden streikende Belegschaften mit „Soli-Faxen“ geradezu überschüttet. Andauernd war das Faxpapier alle!

Meistens blieb es jedoch bei bloßen Soli-Faxen, so dass es auch Stimmen gab, die dieses Elektronikgerät als modernes Instrument zur „Entsolidarisierung“ abtaten. Übertroffen wird dies heute allerdings mühelos durch die „Gefällt mir“-Aktionen auf Facebook, per einfachem Mausklick. Da muss man nicht mal mehr einen Faxtext verfassen.

Anders bei den Flashmobs: Dabei müssen alle Beteiligten nach dem Schneeballprinzip SMS-Nachrichten weiterschicken, sich außerdem auch noch selbst in Bewegung setzen und, wie im beschriebenen höchstrichterlichen Fall, den Geschäftsbetrieb einer oder mehrerer Supermarktfilialen als Kunde kreativ sabotieren. Was den Studentenprotesten von einst das Telefon und das Flugblatt waren, ist den Gewerkschaftern von heute der Flashmob. „Hacking, Leaking, Sabotage!“, schrieb die taz im April und sah eine Avantgarde des Bürgertums, die zum Aufstand gegen digitale Unterdrückung aufrufe. Gemeint ist etwa das Netzwerk des Chaos Computer Clubs. Die Ver.di-Zeitschrift Publik spricht von „Digitalcourage“ und nennt Aktivisten, die „mutig in der digitalen Welt“ sind.

Demo-„Belastung“ steigt

Trotz aller elektronischer Kommunikationsmöglichkeiten, trotz Hacking und Leaking, wird auf persönliches Erscheinen nach wie vor großen Wert gelegt: Es mehren sich die Demonstrationen in der Stadt. Die Berliner Morgenpost fand bereits 2009, sie „erreichten Rekordwert, 2012 empfand die Zeitung die vielen Protestveranstaltungen gar als eine „Belastung“ für die Hauptstadt.

„Belastung“ ist im Übrigen ein gutes Stichwort: Mietenproblematik, Gentrifizierung und Co, genau wegen dieser Belastungen finden hier immer mehr politische Manifestationen statt – und werden für einige vielleicht zur zusätzlichen Belastung.