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Archiv-Artikel

Nicht mit der Hammelherde

Ein „Stolperstein“ erinnert ab heute an den BVB-Platzwart und Nazi-Gegner Heinrich Czerkus

„Heini, lass das sein, das ist viel zu gefährlich.“ Diesen Satz hat Heinrich Czerkus oft gehört. Seine Freunde wussten, dass er im Widerstand arbeitete und von den Nazis gesucht wurde. Heinrich Czerkus war Platzwart bei Borussia Dortmund und Kommunist. Sein Fußball-Verein ließ ihn nicht auffliegen, unterstützte ihn sogar. Doch kurz vor dem Kriegsende 1945 fasste ihn die Gestapo, ermordete ihn und verscharrte seine Leiche.

Heute soll der Kommunist mit einem „Stolperstein“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig geehrt werden. Der Stein mit der Messingtafel wird vor seinem Wohnhaus in der Schlosserstraße in den Bürgersteig eingesetzt – ganz in der Nähe des Borsigplatzes, der Geburtsstätte des BVB. Heinrich Czerkus und die Borussia verbindet viel.

Der frühere Schlosser war ein hagerer Mann mit knochigem Gesicht, die lichten Haare über der hohen Stirn zurückgekämmt – ein typisches Malochergesicht, wie man es zu der Zeit im Ruhrgebiet so häufig sah. Doch eine besondere Eigenschaft hatte Czerkus: Mut. Bereits 1925, also noch in der Weimarer Republik, wurde der damals 31-Jährige überwacht, weil er in der KPD aktiv war. Anfang 1933 zog er in den Dortmunder Stadtrat ein, die Nazis kamen an die Macht und die Gestapo begann, sich näher für Czerkus zu interessieren.

„Czerkus war einer, der nicht mit der Hammelherde mitgelaufen ist“, sagt Wilfried Harthan von den Naturfreunden, die schon zwei „Heinrich-Czerkus-Gedächtnisläufe“ organisiert haben. Der Verein, der sich für politisches Engagement und kulturellen Austausch einsetzt, bat den BVB, mit einer Gedenktafel im Stadion an den Widerständler zu erinnern und einen der neuen Trainigsplätze in Brackel nach ihm zu benennen. Doch die Zusammenarbeit mit der Borussia verlief saisonabhängig: „Als der Verein wirtschaftlich vor dem Aus stand, war er über jede positive Schlagzeile froh und hat viel versprochen – doch passiert ist nicht viel“, erklärt Harthan. Immerhin: Demnächst soll wohl eine Straße am Trainingsgelände an Czerkus erinnern.

Zu Lebzeiten war die Unterstützung des Vereins größer. Czerkus druckte und verteilte Handzettel der Kommunisten, die aus dem Untergrund gegen die Nationalsozialisten kämpften. Zwölf Jahre lang trieb er ein riskantes Katz-und-Maus-Spiel mit der Gestapo und konnte nicht verhaftet werden. Freunde und Kollegen beim BVB wussten Bescheid über seine antifaschistischen Ansichten und Taten. Doch sie schwiegen. Mehr noch: Der damalige Vorsitzende der Borussia, August Busse, ließ zu, dass Czerkus auf der Druckmaschine des Vereins Flugblätter für den Widerstand vervielfältigte. Zudem wurde der Kommunist gewarnt, wenn eine Razzia der Gestapo anstand.

Ein Zeitzeuge erinnert sich, dass der Platzwart „von seiner Borussen-Familie immer wieder gedeckt wurde. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, Czerkus zu verpfeifen“, wie der Dortmunder Historiker Gerd Kolbe in seinem Buch „BVB in der NS-Zeit“ festhält. „Widerborstigkeit aus Prinzip“ resümiert Kolbe, sei ein klares Merkmal der BVB-Vereinsfamilie in dieser Zeit gewesen. Kein ihm bekannter Verein habe drei anerkannte Widerstandskämpfer wie Heinrich Czerkus, Franz Hippler und Fritz Weller in seinen Reihen gehabt.

Doch kurz vor Kriegsende riss Czerkus‘ Glücksfaden ab: Die Gestapo verhaftete ihn und richtete ihn hin. Der Widerstandskämpfer wurde Opfer der so genannten Karfreitagsmorde, bei denen zwischen dem 7. und 30. März 1945 über 300 Nazi-Gegner, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im Dortmunder Rombergpark und in der Bittermark von der Gestapo erschossen und verscharrt wurden.

An dieser Stelle steht ein monumentales Mahnmal für die Opfer des Massakers, an jedem Karfreitag wird ihrer dort gedacht. Ab heute hat Heinrich Czerkus sein ganz eigenes Mahnmal, einen „Stolperstein“. SIMON BÜCKLE