Medien contra Integration?

Funkhaus Europa sendet seit Jahren fremdsprachige Programme, türkische Zeitungen und TV-Sender bedienen auch hierzulande ihre Community. Und die WAZ will bald eine russischsprachige Zeitung herausbringen. Erschweren solche Ethnomedien womöglich die Integration?

JA

Das können sie. Zwar ist es wünschenswert, wenn Aussiedler, russische Angehörige und Juden aus der GUS lieber in Deutschland produzierte Medien nutzen als den autoritären Einheitsbrei insbesondere der „gelenkten Demokratie“ Russlands, von den mittelasiatischen Despotien ganz zu schweigen. Nach der ständigen Verletzung der Menschenwürde der Deutschen in Russland seit Zarenzeiten ist eine Vermittlung der Werteordnung unserer Verfassung dringend geboten, nachrangig, in welcher Zunge sie stattfindet.

Aber Verkehrssprache der Bundesrepublik ist Deutsch. Die Politik, die zumindest theoretisch den mündigen Staatsbürger fordert, findet in deutscher Sprache statt. Ebenso die Arbeitswelt, auch wenn sie sich in verdorbenen Kreisen mit Anglizismen entlarvt. Fremdsprachige Medien für Menschen, denen Deutschland zur Heimat werden soll, tragen den Makel, dass sich Einwanderergruppen in ihren sprachlichen Inseln einigeln und dauerhaft am staatlichen Tropf hängen. Das ist Entmündigung durch Schonung, bei den deutschen Türken abschreckend zu besichtigen, verschärft durch ausufernden Fernsehkonsum. Mancher mag den exotischen Reiz des Unpraktischen betonen, dauerhaft ist gleichberechtigte Zweisprachigkeit die Ausnahme.

Insofern ist die Existenz von Ethnomedien janusköpfig. Einerseits besteht ihr professioneller Anspruch darin, ihren Lesern bei der Orientierung in Deutschland zu helfen. Ist dies gelungen, werden sie überflüssig, weshalb sie andererseits die Besonderheiten ihrer Gemeinde betonen müssen. Man vergegenwärtige sich die Inhalte der ostdeutschen Regionalzeitungen, die ähnlich verfahren. Die Folgen davon spüren wir alle.

Bedenken habe ich gegenüber der Vollmundigkeit der beteiligten WAZ-Gruppe bei dieser Unternehmung. Durch das Ausdünnen der bestehenden Redaktionen schwimmt sie im Geld, um den Preis zunehmender Geistfeindlichkeit ihrer Produkte. Das lässt das Schlimmste befürchten, auch wenn zu wünschen ist, dass die Redakteure der „Rejnskaja Gazeta“ besser entlohnt werden, als es bei gegenwärtigen Ethnomedien üblich ist.

Einschränkend muss angemerkt werden: Der Beitrag von Medien zur Integration wird überschätzt. Journalismus und Kommunikationswissenschaft nehmen sich gern wichtig, aber im Kapitalismus entscheidet über gelungene Teilhabe, ob sich Menschen ordentlich bezahlt an der Produktion beteiligen können. Das mag sich altertümlich anhören, aber da sich das entstehende WAZ-Blatt des Namens einer Zeitung bedient, für die Karl Marx geschrieben hat, sei dieser Hinweis auf den Überbaucharakter des Projekts gestattet.

Harald Bader

NEIN

Der WDR hat im Rahmen der „Europäischen Medienkonferenz“ Ende November auf der Zeche Zollverein in Essen eine hochinteressante Studie vorgestellt, wonach die meisten in Deutschland lebenden jungen TürkInnen deutsche und türkische Fernsehprogramme gleichrangig nebeneinander nutzen. Dabei wurde auch festgestellt, dass die muttersprachlichen Angebote überwiegend beim Fiktionalen eingeschaltet werden, wenn aber Information, Ratgeber und Wissen gefragt sind, werden die deutschsprachigen Angebote im TV bevorzugt. Auf den Inhalt kommt es an.

Was mich am meisten beeindruckt, ist das selbstverständliche Nebeneinander verschiedener Kulturen, Sprachen und Lebensstile. Man sucht sich die verschiedenen Angebote fürs Herz und für den Verstand. Muttersprachliche Zeitungsangebote könnten auf ebensolche Resonanzen stoßen. Vielfalt prägt und macht reich an Erfahrungen. Warum sollen wir in Deutschland nicht mehr muttersprachliche Zeitungsangebote anbieten, wenn sich LeserInnen dafür finden? Wir wissen, dass kulturelle Identität Selbstbewusstsein schafft und dass nur, wer seine eigene kulturell-sprachliche Identität leben kann, sich auch für andere Kulturen und Sprachen öffnet.

Der deutsche Zeitungsmarkt ist nach Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse vom Sommer 2006 nach wie vor konstant reichweitenstark. Danach erreichen die Tageszeitungen täglich insgesamt 73,7 Prozent der Bevölkerung. Sie bleiben damit für knapp 48 Millionen LeserInnen fester Bestandteil der Mediennutzung. Dieses Potential ließe sich möglicherweise durch mehr muttersprachliche Angebote sogar noch ausweiten. Manche Verlage erkennen dieses Potential, andere warnen vor einer medialen Gettoisierung. Keine Angst vor Babylon: Mehrsprachigkeit ist in einer zusammenwachsenden Welt immer ein Vorteil, soziologisch, kulturell und auch ökonomisch.

Es kommt bei einem erweiterten muttersprachlichen Medienangebot, ob im Radio, im Fernsehen oder auf dem Zeitungsmarkt immer und vor allem auf den Inhalt an. Je stärker sich also bewährte Verlage und Sender dieser Aufgabe stellen, umso wichtiger kann der Integrationsbeitrag sein, der mit solcher Akzeptanzarbeit zu leisten ist. Wer sich regelmäßig mit anderssprachigen Medienangeboten beschäftigt, begreift mehr von der Vielfalt der Meinungen und Kulturen in der Welt. Nicht Beliebigkeit, Einsprachigkeit oder Abschottung, sondern Respekt vor dem Andersartigen, Vielsprachigkeit und Öffnung sind die Voraussetzungen für ein sozial gerechtes, von gegenseitiger kultureller Akzeptanz und Friedfertigkeit geprägtes gemeinsames Leben der Menschen.

Oliver Keymis