: „Ein Stellvertreterkrieg der Medien“
Einen Streit zwischen zwei Mädchen an einer Kreuzberger Oberschule spielen Zeitungen als antisemitischen Übergriff hoch. Dabei war die Auseinandersetzung beigelegt, kritisiert Schuldirektorin Mira Lammers. Folge: Der Konflikt wird neu entfacht
Interview Edith Kresta
taz: Frau Lammers, ein Zickenkrieg an Ihrer Schule zwischen einem jüdischen und einem arabischen Mädchen wurde in den Medien als antisemitischer Angriff hochgespielt. Das verärgert Sie. Was ist der Hintergrund?
Mira Lammers: Das Medieninteresse kam, nachdem der Konflikt schon lange bearbeitet und befriedet war – und zwar im Wesentlichen zwischen den beiden Mädchen, natürlich mit Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern, der Polizei und dem Jugendamt. Die Medien kamen erst zirka zwei Monate später. Durch Zufall. Und sie kamen überfallartig. Wir wurden mitten aus unserem Tagesablauf und aus dem Unterricht herausgerissen und sollten auf der Stelle mehreren Reportern bekannter Zeitungen Auskunft geben.
Worüber ärgern Sie sich genau: über die Vorgehensweise der Medienvertreter oder über den Inhalt der Berichterstattung?
Ich ärgere mich über diese Art, einfach einzubrechen in die Schule, ohne zu fragen, und sich zudem nicht an die Absprachen mit der Pressestelle zu halten: Es war abgesprochen, dass es keine Namensnennungen gibt – weder von der Schule noch von den Schülerinnen. Das wurde nicht eingehalten.
Hatte das Auswirkungen auf die Schule?
Das hatte vor allem Auswirkungen auf die Schüler und Schülerinnen. Der Konflikt zwischen den beiden Mädchen – ursprünglich eine Eifersuchtsgeschichte – war längst in der Schule bearbeitet worden. Die „Täterin“ und die Schule waren dann jedoch auf Fotos in den Medien zu erkennen. Jeder wusste nun, wer beteiligt war. Das Mädchen musste in der Schule wegen der Berichterstattung Spießruten laufen. So wurde der Konflikt wieder aufgebrochen, personalisiert und zunehmend ideologisiert.
Wird hier etwas mobilisiert – also der Antisemitismus –, der eigentlich nicht das Problem ist?
Natürlich hat der Konflikt eine antisemitistische Komponente. Aber der Auslöser war etwas anderes: Die Schülerin, die nun als Täterin dafür verantwortlich gemacht wird, hat mit Antisemitismus wenig zu tun. Das ist eine Vereinfachung der Medien. Man hat jemand, die ist namhaft und noch dazu Kopftuchträgerin. Das passt genau ins Bild – das ist dann sozusagen ein Stellvertreterkrieg. Genauso wie die jüdische Schülerin auch Stellvertreterin für jüdische Interessen ist. Das zeigt sich daran, dass sich die jüdische Gemeinde in vielerlei Hinsicht stark gemacht hat für diese Schülerin.
Wie stellen Sie sich denn vor, dass die Medien damit umgehen sollten? Medien reagieren nun mal auf Konflikte.
Ja, aber bitte nicht so, wie der Bild-Zeitungsredakteur es auf den Punkt brachte: Er wollte „bad news“ – weil nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, denn nur solche könne man verkaufen. Das mag zugespitzt sein, aber im Wesentlichen habe ich das auch bei den anderen Medien so erfahren. Da wird ganz schnell etwas extrem formuliert und auf einen Konflikt reduziert, der sich in dieser Form vor Ort gar nicht so radikal darstellt. Diese Gewalttätigkeiten zwischen SchülerInnen haben immer mehrere Komponenten. Das ist eben nicht so, dass hier Araber gegen Juden sind. Diese Reduzierung ist für die Jugendlichen hoch gefährlich.
Warum?
Weil Jugendliche plötzlich auf eine Haltung reduziert werden, die sie eigentlich gar nicht einnehmen. So wird die latente Bereitschaft der SchülerInnen geschürt, sich zu polarisieren. Das ist auch für Jugendliche einfacher, als sich mit der Vielschichtigkeit der Motive auseinanderzusetzen.
Auch die Jugendlichen nehmen den Konflikt durch die Berichterstattung nicht mehr differenziert wahr?
Ja. Und da finde ich, hat die Presse die Verantwortung, den Jugendlichen zu zeigen, dass man sich alle Seiten anschaut und anhört. In diesem Fall wurde jedoch immer nur das Opfer gefragt. Bei Jugendlichen, die einen Entwicklungsprozess machen, ist es wichtig, dass man sie in die Prozesse reinholt. Mit einer solchen Berichterstattung werden sie aber rausgeschickt. Die Täterin wird ausgegrenzt und vorverurteilt.
Wo beginnt für Sie die Verantwortung der Medien?
Sie haben eine Verantwortung gegenüber diesen Jugendlichen. Aber sie bieten ihnen nichts an, obwohl Fernsehen und Zeitungen meinungsbildend sind. Sie arbeiten mit dem Schlagwort „arabisch“ und „jüdisch“, was gerade gut in die öffentliche Debatte passt. Aber es gibt keine Ansprache an die Jugendlichen. Keine Orientierungshilfen – keine positiven zumindest.
Wo sehen Sie Perspektiven?
Wir haben hier Gesprächsrunden mit muslimischen und jüdischen Jugendlichen gehabt. Solche Runde sind spannend, aber da interessiert sich niemand dafür. Das sind die leisen, aber wichtigen Themen.
Geht der Medienhype um ihre Schule weiter?
Ja. Heute hat das ZDF angerufen.