: Steinbrücks Vollstreckerin
Sie wollen Ihre Steuererklärung machen? Keine Geschäftsessen am Hochzeitstag! Beweisen Sie, dass Arbeit keinen Spaß macht! Und: Wem wollen Sie erzählen, dass das „Bild“-Abo rein geschäftlich ist?!
VON PETER KÖPF
Also sprach der Bundesfinanzminister: Ich brauche höhere Steuereinnahmen. Und das Wunder geschah. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres nahmen Bund und Länder 317,3 Milliarden Euro ein, 22,9 Milliarden mehr als im Vergleichszeitraum 2005. Interessant ist darunter die Position „veranlagte Einkommensteuer“, die sich im selben Zeitraum von 3,7 auf 10 Milliarden Euro fast verdreifacht hat.
Seit kurzem weiß ich, wie der Staat das erreicht, denn ich musste meine Unterlagen zu einer Steuerprüferin tragen. Den Dialog mit Steinbrücks williger Vollstreckerin habe ich etwa so in Erinnerung: „Da sind wohl ein paar private Rechnungen hineingerutscht.“ „So etwas mache ich nicht.“ „Sie waren an Ihrem Hochzeitstag Essen?“ Kurzer Blick auf den Beleg: „Ja, da steht’s doch. Mit Herrn S. Der ist Chefredakteur.“
Sie schaut ungläubig, wendet sich dann wieder den Belegen zu: „Und der Duden?“ „Ich lektoriere. Und ich schreibe.“ „Ein paar der Bücher habe ich auch gelesen.“ „Ja? Welches hat Ihnen am besten gefallen?“ „Alle. Lesen ist doch Vergnügen.“ „Für mich ist Lesen Arbeit.“ Amüsierter Blick, dann wieder Belegstudium. Ich setze nach: „Darf denn Arbeit keinen Spaß machen?“ Ihre Antwort ist ein weiterer Vorwurf: „Hier: Hitler. Über Hitler liest doch jeder Mensch.“ „Aber ich habe über ihn geschrieben.“ Sie schüttelt den Kopf: „Und die Zeitungen? Sie haben Ihre Zeitung abgerechnet.“ Ich ahne, auch das ist für sie Vergnügen. Schnell ein Argument, bevor sie streicht: „Ich lese schon beim Frühstück drei Zeitungen. Glauben Sie, das macht Spaß?“ „Mir schon.“ „Aber ich muss lesen“, entgegne ich schwach. „Jeden Morgen. Sogar Die Welt.“ Nicht einmal dieses Geständnis weckte ihr Mitleid oder überzeugte sie gar. In allen Fällen sei private Nutzung nicht ausgeschlossen oder nicht klar abgrenzbar. Das sei wie bei der Schauspielerin, die eine Theaterkarte abrechnen wolle, belehrt sie mich und nennt irgendeinen Paragrafen aus irgendeinem Steuergesetz. Das lasse sie auch nicht zu. Ich soll also nun Fall für Fall, Rechnung für Rechnung und absolut zweifelsfrei nachweisen, weshalb ich die Bücher, die auf den eingereichten Quittungen stehen, angeschafft habe. Als Beweise gelten Rezensionen, Artikel oder Kopien aus meinen Büchern. Ein virtueller Ertrag der Lektüre – ein Gedanke, eventueller später nutzbarer Erkenntnisgewinn – ist nicht abrechenbar, es zählt schwarz auf weiß.
Meine Überlegungen, wie ich eine ahnungslose Bürokratin davon überzeugen kann, dass ich jedes meiner Bücher zu beruflichen Zwecken benötige, führten mich zur taz, die stets Vorkämpferin gegen staatlichen Terrorismus war. Und siehe, die Redaktion unterstützt mich in meinem einsamen und eigentlich aussichtslosen Kampf gegen den Apparat, indem sie diese Glosse abdruckt. Honorar: ein Euro. Das ist ein angemessener Preis. Mehr, Frau Steuerprüferin, war trotz meiner hohen Investitionen leider nicht herauszuholen. Eine Fehlinvestition, sicher. Aber da haben sich schon größere Unternehmer verkalkuliert und ihre gesamte Firma gegen Zahlung eines Euro abgestoßen. Ich dagegen werde trotz dieses wirtschaftlichen Fehlschlags weiter für Umsatz kämpfen.
Ich werde weiter lesen, denken, diskutieren und schreiben. Die Lektüre folgender Kriminalromane half mir, ein Krimi-Éxposé anzufertigen (liegt den nachgereichten Unterlagen bei), das ein angesehener Verlag zurzeit prüft: Cordy: „Nazarethgen und Mutation“, Izzo: „Total Cheops“, Carter: „Schachmatt“, King: „Die Feuerprobe“, Molina: „Augen eines Mörders“, Suter: „Ein perfekter Freund“, Reichs: „Knochenlese“, Johnson: „Christie Malrys doppelte Buchführung“, Vargas: „Fliehe weit und schnell“.
Gelesen habe und wärmstens empfehlen kann ich (Achtung, Sammelrezension!) folgende Romane: Carver: „Würdest du bitte endlich still sein, bitte“, Coelho: „Der Alchimist“ (am besten als Doppel-CD) und „Elf Minuten“, Schmitt: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, Harris: „Pompeji“, Yalom: „Und Nietzsche weinte“, Frayn: „Spionagespiel“, Brezan: „Krabat“, Seligmann: „Rubinsteins Versteigerung“ und „Die jiddische Mamme“, Powers: „Klang der Zeit“, Johnson: „Jahrestage“, Zeh: „Spieltrieb“, Marquez: „Leben, um davon zu erzählen“, Barnes: „Flauberts Papagei“, Schätzing: „Der Schwarm“.
Außerordentlichen Erkenntnisgewinn brachten die Sachbücher Todenhöfer: „Wer weint schon um Abdul und Tanaya“, Kaminer: „Russendisko“, Kunzler: „Jazz“ (zwei Bände), Cook: „Blue Note“, Kühn: „Kant“, Aly: „Hitlers Volksstaat“, Sambeth: „Zwischenfall in Seveso“, Neruda: „Ich bekenne, ich habe gelebt“, Bryson: „Eine kurze Geschichte von fast allem“, Jelloun: „Papa, was ist der Islam“, Arthus-Bertrand: „Erde von oben, für Kinder erzählt“.
Wozu ich das Buch über „Die Lüge“ gekauft habe, ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich kann es in meinem Bücherregal auch gar nicht mehr finden.