: Verschleppt, aber nicht vergessen
KAMPAGNE Vor einem Jahr wurden zwei französische Fernsehreporter in Afghanistan von Taliban entführt. Sie sind am Leben – aber weil ihre Regierung sich kaum für die beiden einsetzt, machen nun andere Journalisten mobil
VON RUDOLF BALMER
Jeder in Frankreich kennt die Gesichter der beiden, sie werden am Ende jeder Tagesschau eingeblendet und sind sogar nun auf dem Pariser Triumphbogen zu sehen. Mit der Zeit sind auch ihre Namen geläufig geworden: Stéphane Taponier und Hervé Ghesquière sind Geiseln in Afghanistan. Im Fernsehen wird die Zeit ihrer Gefangenschaft mitgezählt. Jetzt ist der Counter auf 365 angelangt. Auf den Tag genau vor einem Jahr wurden die beiden Journalisten zusammen mit drei afghanischen Begleitern in der nördlich von Kabul gelegenen Provinz Kapisa entführt.
Die beiden Reporter waren im vergangenen Jahr nach Afghanistan gereist, um dort im Auftrag des staatlichen französischen Senders France-3 einen Beitrag für das Info-Magazin „Pièces à conviction“ über diese Provinz zu produzieren, die dem französischen Kommando unterstellt ist. Heute wird von ihren Kollegen unterstrichen, dass sie nicht fahrlässig als Touristen in diesem unsicheren und umkämpften Gebiet unterwegs waren. Sie nahmen bei ihrer Arbeit zur Information der französischen Fernsehzuschauer Risiken auf sich. Anfänglich machte der französische Präsident Nicolas Sarkozy ihnen unverhohlen den Vorwurf, sie hätten sich vorsätzlich und trotz Warnungen ohne militärische Eskorte in Gefahr begeben.
Zuerst herrschte totale Funkstille in Frankreich nach der Meldung über ihre Entführung am 30. Dezember 2009. Angeblich im Interesse einer raschen Freilassung durften nicht einmal ihre Namen öffentlich genannt werden. Auch über die Identität ihrer Kidnapper wurde zunächst völliges Stillschweigen gewahrt. Gebracht hat ihnen diese in Paris von oben befohlene Diskretion aber nichts. Die Zeit ihrer Gefangenschaft wird lang für ihre Angehörigen, Freunde und alle Kollegen der Medien. Sie setzen nun seit Monaten mehr auf die Wirksamkeit einer aktiven Solidarität, um Druck auf die französischen und afghanischen Behörden oder wenn möglich auch auf die Entführer zu machen. Den beiden Geiseln soll sie Mut zum Ausharren verleihen, falls ein Bild der zahlreichen Kundgebungen oder auch nur das schon fast zur Routine gewordene tägliche Porträt mit dem Zähler nach den Fernsehnachrichten auf wundersame Weise bis zu ihnen gelangen sollte.
Auch die Eltern von Stéphane Taponier wollen jetzt nicht mehr schweigen und sich den Mund verbieten lassen. So oft schon habe man ihnen vergebliche Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr ihres Sohns gemacht. Sie haben das Gefühl, dass zu Beginn unnötig viel Zeit verloren gegangen ist und dass die Verhandlungen immer komplizierter werden. „Es hat vier oder fünf Monate gebraucht, bis etwas in Bewegung kam“, meinen Arlette und Gérard Taponier. Und: „Wir verlieren nicht die Hoffnung, aber das Vertrauen.“ Die Bemühungen um die Freilassung sind dem militärischen Geheimdienst unterstellt, der auch den Angehörigen so wenig wie möglich über die Entwicklung der Verhandlungen vor Ort verraten will. Aber auch nach einem kürzlichen Besuch des früheren Außenministers Bernard Kouchner in Kabul hätten sie überhaupt nichts mitgeteilt bekommen, beschweren sich die Eltern.
Sie durften hingegen am Dienstag eine kurze, vom 11. November datierende Videobotschaft anschauen, welche die mit den Taliban verbündeten Entführer als Lebenszeichen übermittelt hatten. Diese fordern neben Lösegeld auch einen Austausch ihrer Geiseln gegen islamistische Krieger, die von den afghanischen Regierungsbehörden gefangen worden waren. Die beiden Franzosen seien der Aufnahme zufolge zwar wohlauf, aber stark abgemagert. Sie ersuchen in ihrem Appell die französische Regierung, das „Maximum“ für ihre rasche Freilassung zu tun. Ob das wirklich bisher der Fall war, bezweifeln die Eltern. Zum Jahrestag ihrer Entführung organisiert ein Unterstützungskomitee in Frankreich erneut verschiedene Solidaritätsaktionen. So werden nun unter anderem jetzt die Fotos der beiden Journalisten abends auf den Pariser Triumphbogen projiziert, damit ihr mühevolles Warten auf die Freiheit weder vergessen noch verschwiegen werden kann. Der Kampf für ihre Freilassung soll auch als Verteidigung des Rechts auf Information verstanden werden.