DIE FEMINISTISCHE SCHAUSPIELERIN UND AUTORIN RAYHANA : Frauen im Hamam
MICHA BRUMLIK
Ob man selbst „orientalistisch“ eingestellt ist, lässt sich schnell überprüfen: Man beobachte sich nur dabei, welche Bilder und Assoziationen bei dem Wort „Harem“ erscheinen. Sind es Bilder von sich lüstern räkelnden Odalisken, so ist der Befund nicht mehr abzuweisen. Etwas anders sieht es bei dem inzwischen durch Wellnessoasen und Spas bekannt gewordenen Wort „Hamam“ aus, was nichts weiter bedeutet als „türkisches Bad“ und auf Dampfbäder verweist, in denen man auf geheizten Kacheln liegen und sich der Körperpflege hingeben kann.
Dort, wo der Hamam noch Verbindungen zu seiner Herkunftskultur, zum türkischen Islam hat, wird er geschlechtergetrennt genutzt. Er gilt als Rückzugsraum, in dem Frauen untereinander ein offenes Wort über sich, ihr Leben, ihre Körper und Kinder sowie über die nach wie vor patriarchalisch geprägte Männerwelt, der sie ausgesetzt sind, wagen können. Zu wissen, was im Hamam gesprochen wird, ist für europäische Einwanderungsgesellschaften mit starken muslimischen Minderheiten von besonderem Interesse.
In Frankreich, genauer gesagt in Paris, machte vor einigen Jahren ein Theaterstück unter dem Titel „A mon age je me cache encore pour fumer“ („In meinem Alter verstecke ich mich beim Rauchen noch immer“) Furore. Das Stück spielt im Algerien der Gegenwart und legt in tragikomischer Weise die komplexen, herrschaftlich codierten Beziehungen zwischen Körper, Sexualität und einer traditionalistischen Alltagskultur offen. Neun Frauen jeden Alters offenbaren im Hamam einander ihre Lebenserfahrungen.
Die Autorin des Stückes hat soeben in Paris den renommierten Bansemer-Nyssen-Dramatikerpreis erhalten. Sie weiß, was sie auf die Bühne bringt: Die offen feministische Schauspielerin und Autorin Rayhana – so ihr Künstlername –, 1964 in Algerien geboren, floh vor den dortigen Islamisten nach Frankreich, wo sie allerdings ihres Lebens auch nicht sicher war. Vor mehr als drei Jahren wurde die bekennende Raucherin bei der Uraufführung ihres Stückes vor einem Pariser Theater beschimpft, mit Benzin übergossen und angezündet – ein Attentat, das glücklicherweise erfolglos verlief. „Rauchende Frauen“, so gab sie zu Protokoll, „gelten in Algerien noch immer als Huren.“ Bis heute traut sie sich nicht, sich in Anwesenheit ihrer Eltern eine Zigarette anzustecken.
Aber auch der Künstlername, den sich die algerische Dramatikerin gab, muss Islamisten als Provokation gelten: Historisch wird eine Rayhana erstmals in einer aus dem achten Jahrhundert stammenden Biografie des Propheten Mohammed erwähnt: als Angehörige eines jüdisch-arabischen Stammes, dessen Männer von Mohammed hingerichtet wurden. Der Prophet bot dem gefangen genommenen Mädchen an, es zu seiner Frau zu machen, sofern sie zum Islam übertrete – was sie zunächst verweigerte. Eine spätere Konversion half ihr nichts mehr, sie starb als Sklavin.
Beides, Rayhanas offensives Rauchen und der überdeutliche Bezug auf ein Mädchen, das dem Propheten zunächst widerstand, provoziert und eröffnet gerade in Ländern mit großen muslimischen Einwanderermilieus unverzichtbare Diskussionsfelder.
Das postmigrantische Theater in Deutschland sollte nach dem Auftritt des türkischen Premiers Erdogan in Köln und den ihn bejubelnden Massen nicht zögern, Rayhanas Stück auf die Bühne zu bringen, zumal seit Kurzem eine beim H & S Verlag erschienene vorzügliche deutsche Übersetzung vorliegt. Ja, der Islam gehört zu Deutschland und zu Europa – von einer offenen Debattenkultur wird abhängen, welche Form er annehmen wird.
■ Micha Brumlik ist Publizist und Erziehungswissenschaftler. Er lebt in Berlin