GALERIEN, METZGEREIEN, DACHTERRASSEN, BARS UND ANDERE PERLEN DES URBANEN LEBENS : Richtig hip wird sie auch nächstes Jahr nicht, die Potse
VON DIRK KNIPPHALS
Ich schätze trotzdem mal, so richtig hip wird die Potsdamer Straße auch im kommenden Jahr nicht werden. Auch wenn der tip sich grad für sie ins Zeug gelegt hat.
Verdienstvoll an der tip-Geschichte ist vor allem die Leiste mit den Adressen. Man hatte ja schon gehört, dass sich viele Kunstgalerien in dem Abschnitt zwischen Neuer Nationalgalerie und U-Bahn Kurfürstenstraße ansiedeln würden, hatte sich dann beim Vorüberradeln vorgenommen, Ausschau nach ihnen zu halten, aber diese neuen Orte „mit jüngeren Künstlern und frischen internationalen Positionen“ (tip) schlicht nicht gefunden. Mit einem einfachen Sichumgucken ist bei diesem neuen Kunst-Hotspot Potsdamer Straße jedenfalls nichts zu machen. Die Galerien befinden sich in den Hinterhöfen und verstecken sich in zweiten Etagen. Jetzt aber kann man, mit den tip-Adressen in der Hand, die Galerien Arndt, Esther Schipper, Florent Tosin, Tanja Wagner, Kavi Gupta, Reception, Sommer & Kohl, Walden und wie sie alle heißen also direkt ansteuern.
Vielleicht fallen ja demnächst auch ein paar hübsche Gentrifizierungseffekte für die Umgebung ab. Etwas mehr Latte macchiato und digitale Boheme können der Gegend jedenfalls nicht schaden. An der Potsdamer Straße kann ich mir bis heute gut klarmachen, wie das Lebensgefühl im alten Westberlin ausgesehen haben muss.
Ein flächendeckendes hegemoniales Wirgefühl, wie es heute etwa im Prenzlauer Berg vorherrscht, gab es vor dem Mauerfall ja ganz und gar nicht. Stattdessen gab es ein Netzwerk einzelner Orte, die okay waren, alternative Inseln, die man sich selbst schuf, inmitten einer als fremd bis feindlich erfahrenen Umgebung.
Das Feindliche mag inzwischen raus sein, aber dass man genau wissen muss, wo sich die guten Orte befinden, das ist bei der Potsdamer Straße bis heute so, nicht nur bei den neuen Kunstorten. Auf den ersten Blick sieht man nur Dönerbuden, Billigläden und Straßenstrich. In den Hinterhöfen aber gibt es in ehemals besetzten Häusern große Dachterrassen, von denen man über die Dächer der Stadt sehen kann. Es gibt kleine Perlen wie das Café Noir, alte Schlachtereien, in denen sich der herbe Charme echt Berliner Verkäuferinnen konserviert hat, mindestens so gut wie die Cervelatwurst in der Auslage. Ein, zwei Buchläden haben sich auch erhalten.
Und dann gibt es natürlich noch die echten Klassiker. Die Victoria Bar, die ich sogar mehr schätze als das Green Door am Winterfeldtplatz. In der hohen Qualität der Cocktails und der großen Souveränität der Barleute nehmen sich die beiden Läden nicht viel – aber der Raum der Victoria Bar ist spektakulärer; ein hoher, langer Schlauch mit einem unendlich langen Tresen, an dem man prima einrasten kann. Ein anderer Klassiker ist die grundsolide Joseph-Roth-Diele direkt neben dem alten Tagesspiegel-Gebäude gelegen. Leicht old fashioned und so uncool, dass es längst schon wieder cool ist.
Na ja, und schließlich ist es natürlich unmöglich, über die Potsdamer Straße zu sprechen, ohne das Kumpelnest 3000 zu erwähnen. Dieser Ort ist ja eher als wüster Anmach- und Absturzladen berüchtigt, was er an den Wochenende ohne Zweifel auch ist. Aber großartig ist es zum Beispiel, schon am frühen Abend als erster Gast an der hinteren Ecke des Tresens zu sitzen. In diesen frühen Stunden hat das Kumpelnest ein entspanntes Flair. Der freundliche Barmann räumt noch ein bisschen herum und hat eine Mixkassette mit alten Soulstücken oder Discoklassikern ins Kassettendeck geschoben. Irgendwann kommt dieser riesige Türsteher, über den man sich beim ersten Sehen erst einmal leicht erschreckt hatte, und zündet sich seine Zigarre an. Allmählich trudeln dann die Stammgäste und die Touristen ein, die Schnell-noch-mal-ein-Gin-tonic-Trinker und auch diejenigen, die den Absprung nie richtig geschafft haben.