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Archiv-Artikel

„Beschwert euch nicht nachher“

FILM Ab Samstag bietet die Filmreihe „Unknown Pleasures“ im Babylon Mitte tolle Einblicke ins unabhängige US-Kino. Mit dabei ist Harmony Korines neuer Film „Trash Humpers“. Ein Gespräch mit dem Regisseur aus Nashville

Harmony Korine

■ Kalifornier, Jg. 1973, wächst in Nashville und New York auf. 1995 verfilmt Larry Clark sein Drehbuch „Kids“. Sein eigenes Regiedebüt hat er 1997 mit dem kontrovers aufgenommenen „Gummo“. „Trash Humpers“ ist nach dem zertifizierten Dogma-Film „Julien Donkey-Boy“ (1999), in dem Werner Herzog als Darsteller mitwirkt, und „Mister Lonely“ (2007) sein vierter Langfilm.

INTERVIEW ISABELLA REICHER

taz: Herr Korine, „Trash Humpers“ sieht aus, als wäre er mit einer klobigen VHS-Kamera aus den 80er Jahren gedreht?

Harmony Korine: Ja, wir haben gleich mehrere solcher Kameras benutzt, weil die meisten Geräte schon in so beschissenem Zustand waren, vor allem die Akkus, die dauernd eingehen. Wir haben auch auf VHS-Rekordern geschnitten, wir hatten ganze Stapel davon. Der Film sollte Fehler haben, Bildstörungen. Wir waren wie besessen, haben die Rekorder zerlegt, mit Kugelschreibern reingestochert, während das Band zurückspulte, es absichtlich „geglitcht“ – fast wie beim Scratchen.

Das klingt nach Experimentalfilmproduktion.

Jajaja. Es war auch ein Experiment, weil ich das noch nie gemacht hatte. Es sollte am Ende aussehen, als hätte man eine schon ziemlich abgenutzte, bespielte Videokassette buchstäblich irgendwo ausgegraben.

Nun wissen wir aber, dass es kein Fundstück ist. Wie sind die Figuren entstanden, die da ihr Unwesen treiben?

Ich wohne jetzt wieder in Nashville. Nachts gehe ich immer mit dem Hund raus, durch Hinterhöfe und Seitenstraßen. Dort fällt das Licht der Straßenlaternen hauptsächlich auf Mülleimer, es bringt sie zum Strahlen. Das sieht oft richtig schön und theatralisch aus: Manche Container sind ramponiert, andere überwuchert. Oder sie sehen aus, als wären sie zusammengeschlagen, geschändet worden. Irgendwann habe ich mich an eine unheimliche Geschichte aus meiner Kindheit erinnert, über eine Gruppe von älteren Männern, die nachts rumschlichen und durch Fenster von Teenagermädchen spähten. Aus diesen beiden Dingen sind die Trash Humpers entstanden, denen einer abgeht, wenn sie sich an Mülleimern vergehen.

Sie selbst verkörpern mit Greisenmaske eine dieser Figuren. Warum haben Sie nicht einfach alte Darsteller engagiert?

Ich habe es in Erwägung gezogen. Aber die Idee von alten Leuten mit jungen Körpern, von Gestaltwandlern, hat mir auch sehr gefallen. Das gibt dem Ganzen eine interessante Dynamik, macht es unheimlich, furchterregend.

Sie haben sich also abends die Masken aufgesetzt und sind losgezogen – oder gab es eine Art von Erzählung?

Anfangs machte ich Fotos, und zwar mit den allerschlechtesten Geräten, billigen Wegwerfkameras, die Bilder habe ich im Drugstore ausarbeiten lassen. Ich finde dieses obsessive Getue um Bildqualität, Schärfe, Pixel, high definition total langweilig. Es kann auch ein Nachteil sein, wenn die Dinge zu gut, zu real aussehen. Ich wollte genau die gegenteilige Richtung einschlagen. Mit der Zeit sind ziemlich viele Fotos zusammengekommen, die interessant waren und auch schön creepy. Ich habe überlegt, was das filmische Äquivalent dazu sein könnte, und bin schnell bei VHS gelandet, es hat diesen „analogen Nebel“.

„Trash Humpers“ ist auch ein Homemovie, Freunde und Familie, sogar Ihr Baby wirken mit. War es nach Ihrem vorigen Film wichtig, so zu arbeiten?

Das eigentliche Drehen macht mir immer Spaß, „Mister Lonely“ war schwierig wegen der Bürokratie, der Größe des Projekts. Ich habe immer davon geträumt, meine Ideen unmittelbar filmisch umsetzen zu können, wie ein Maler. Mich so schnell zu bewegen wie meine Gedankengänge. Mit diesem Konzept ging das. Ich habe ja erst vor acht Monaten zu drehen begonnen, weniger als ein halbes Jahr vor der Premiere.

Bei allen Unterschieden gibt es Kontinuitäten in Ihren Filmen, die Vorliebe für Slapstick, für Outsider zum Beispiel.

Ich kann einfach keinen Film schreiben, der einen normalen Plot hat, eine einfache Romanze oder so was. Ich fühle mich zu sehr speziellen Figuren und Formen von Humor hingezogen, immer noch die gleichen Dinge, die ich schon mit vierzehn gut fand – in der Hinsicht habe ich mich nicht wirklich entwickelt.

„Trash Humpers“

■ In Nashville, Tennessee, treibt nachts ein Anarcho-Performance-Grüppchen sein Unwesen: Faltige Greise, gewissermaßen die Trash-Uropas der „Jackass“-Gang, reiben sich an Mülltonnen, machen spontane Hausbesuche, gebärden sich albern, anzüglich, ungehörig, destruktiv. Sie bewegen sich dabei auf jenem schmalen Grat des urwüchsig Karnevalesken, das ebenso befreiende wie nachhaltig verstörende Effekte zeitigt. Nicht nur die versehrten Bildoberflächen geben dem Ganzen eine melancholische Note.

■ „Trash Humpers“. Regie: Harmony Korine. Mit Paul Booker u. v. a. USA 2009, 78 Min.

Aber der pessimistische Unterton war früher nicht so ausgeprägt, oder?

Schon 1997 bei „Gummo“ haben viele Leute ein Problem damit gehabt, dass darin schreckliche, grausame Dinge passieren, die zugleich komisch sind, und dass man das nicht fein säuberlich getrennt halten kann.

Die 90er waren die Ära der Political Correctness – das hat sich wahrscheinlich auch nicht gut vertragen.

Ich war 23, als ich „Gummo“ gemacht habe. Ich war sicher, dass mir etwas Bedeutungsvolles gelungen war – und ich war noch sehr jungenhaft und naiv und deshalb überzeugt, dass selbst Leute, die manches im Film beunruhigend und ärgerlich fanden, doch seine Größe erkennen würden. Stattdessen gab es harte Kritik – man sah nur das Schreckliche und keine Spur von Größe. Das war ziemlich heftig.

Haben Sie für Trash Humpers ähnliche Reaktionen geerntet?

Nein – manche Leute regen sich auf. Aber ich habe mir schon beim Titel überlegt, dass ich ganz wörtlich sagen will, worum es geht: Der Film heißt „Trash Humpers“, und ja, es gibt darin Leute, die manchmal Müll bumsen. Man kann sich vorher entscheiden, ob man das sehen will. Also bitte beschwert euch nicht nachher.

■ Unknown Pleasures: 1. bis 16. 1. im Filmkunsthaus Babylon. Programm: www.babylonberlin.de