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Archiv-Artikel

September

Ich sagte, „du hast gut gelesen, es war super“. Er sagte, nein, „ich war scheiße“. Die Veranstalter hatten keine gute Arbeit gemacht. Nur zehn waren gekommen, um den Undergrounddichter, der selten auftrat, lesen zu sehen. Wir standen im Flur, neben dem Veranstaltungsraum des Kreuzberger Lokals, und rauchten und redeten. Das heißt: Der Undergrounddichter redete vor allem, und ich stellte manchmal eine Zwischenfrage. Er sprach eindringlich und war noch völlig aufgewühlt. Vier Stunden zuvor noch hätte er eine Knarre an seinem Kopf gehabt. Die Bullen hätten eine große Aktion gestartet. Alles sollte zerschlagen werden. Die ganzen Netze. Du weißt schon. Hausdurchsuchungen an verschiedenen Orten. Hunderte von Polizisten. Untergrundverbindungen, die noch in die sechziger Jahre hineinreichten, sollten zerschlagen werden. Es ging um Haschisch. Er klang wie die Leute manchmal auf diesen politischen Versammlungen früher. Er zitterte tatsächlich, als er erzählte. In welchem Film war ich denn jetzt wieder gelandet? Und aus dem Saal rief jemand, wir sollten still sein; da lief ja die CD von Scardanelli, die er in den letzten Monaten aufgenommen hatte. Die meisten seiner Texte handelten vom Tod.DETLEF KUHLBRODT