Team von Scotland Yard ermittelt in Moskau

Russische Behörden verbieten Vernehmung eines wichtigen Zeugen zum Tod des Exagenten Alexander Litvinenko

DUBLIN taz ■ Scotland Yard hat am Montagabend neun Kriminalbeamte nach Moskau geschickt, um Zeugen zum Tod Alexander Litvinenkos zu vernehmen. Der 43-jährige Exagent des russischen Geheimdiensts FSB war am 1. November in London mit dem radioaktiven Polonium-210 vergiftet worden und vor knapp zwei Wochen gestorben. In einer nach seinem Tod verlesenen Erklärung machte er den russischen Präsidenten Wladimir Putin dafür verantwortlich.

Die russische Regierung hatte Großbritannien die Zusammenarbeit angeboten. Die hat aber ihre Grenzen: Den Exspion Michail Trepaschkin, der wegen Geheimnisverrats in einem Straflager sitzt, dürfen die britischen Beamten nicht vernehmen. Trepaschkin hatte in einem Brief behauptet, Russland habe eine spezielle Agentengruppe gebildet, um Litvinenko und andere Regimekritiker zu töten.

Die Londoner Times erklärte gestern, aus britischen Sicherheitskreisen erfahren zu haben, dass der russische Geheimdienst FSB den Mord an Litvinenko in Auftrag gegeben habe. Um die Tat auszuführen, habe man sich ehemaliger Agenten bedient, zitiert das Blatt einen anonymen britischen Geheimdienstmitarbeiter: „Wir wissen, dass der FSB im Ausland agiert, und aufgrund der Hintergründe von Litvinenkos Tod muss der FSB der Hauptverdächtige sein.“

Für die Times ist der Exspion Andrei Lugowoi der Hauptverdächtige. Er kam nach seinem Austritt aus dem FSB kurz ins Gefängnis, doch nach seiner Entlassung blühte sein Geschäft auf und sei heute umgerechnet 150 Millionen Euro wert, wundert sich das Blatt. Fest steht, dass Lugowoi in den zwei Wochen vor Litvinenkos Vergiftung drei Mal nach London gereist ist und Litvinenko vier Mal in Bars und Restaurants getroffen hat. In den beiden Hotels, wo er übernachtet hatte, und in einem der Flugzeuge, in denen er nach London gereist war, wurden Spuren von Polonium-210 gefunden.

Lugowoi sowie seine Geschäftspartner Dmitri Kovtun und Wjatscheslaw Sokolenko, die Litvinenko ebenfalls am 1. November getroffen hatten, bestreiten, etwas mit der Tat zu tun zu haben. Lugowoi sagte, jemand wolle ihn zum Sündenbock machen. Er und seine beiden Geschäftspartner seien aber bereit, erneut auszusagen.

Das haben sie bereits vor knapp zwei Wochen in der britischen Botschaft in Moskau getan. Die wird nun auf eine Polonium-Verseuchung untersucht. Selbst wenn die englischen Polizisten Hinweise auf eine Täterschaft finden, werden sie die Verdächtigen nicht mit nach Hause nehmen können. Die russische Verfassung verbietet es, Staatsbürger auszuliefern, damit sie im Ausland angeklagt werden können. Ausnahmen könnte nur das Parlament gewähren, doch das wird sich hüten, da Großbritannien sich ebenfalls weigert, die 16 russischen Exilanten auszuliefern, die Russland gerne vor Gericht stellen würde.

Ganz oben auf der Liste steht der Milliardär Boris Beresowski, dem Moskau einen Umsturzversuch vorwirft. Russlands Außenminister Sergei Lawrow sagte vorgestern in Brüssel, dass die britisch-russischen Beziehungen wegen der Litvinenko-Affaire „natürlich Schaden genommen“ haben. „Es ist wichtig, eine Politisierung dieser Tragödie zu vermeiden“, fügte er hinzu.

RALF SOTSCHECK