FERIENWOHNUNG-POESIE
: Berliner Schauwerte

Unversehens ist man zum Berlin-Exponat geworden

Fünf Ferienwohnungen gibt es in meinem Haus inzwischen. Heute habe ich mir mal den Spaß gemacht, im Internet nachzusehen, wie diese angeboten werden. Ganz schön interessant.

Christian aus dem dritten Stock scheint ein schlechter Vermieter zu sein: lauter Beschwerden über die Wohnung, die angeblich ganz anders aussieht als auf den Fotos und schlecht beheizbar ist. Die anderen bewerben ihre Wohnungen mit Dingen, die streng genommen nicht zu diesen gehören: der „herrlich grüne“ Innenhof, die Sitzecke, der Kinderspielplatz. Und plötzlich stehen in dem herrlich grünen Innenhof drei Jungmenschen mit Rastalocken und Bierflasche in der Hand – weil man in Berlin das Haus bekanntlich nur mit Pulle in der Hand verlassen darf – und bewundern lautstark den Efeu an den Hauswänden.

In der Sitzecke hinter dem Haus findet man sich neuerdings in der Gesellschaft von ständig wechselnden Rollkoffer-Besitzern wieder, für die man als Vertreter lokaler Lebensart dient. Vom Anwohner ist man unversehens zum Berlin-Exponat geworden: Ah, so sieht es aus, wenn ein Berliner in der Sonne sitzt. Ah, so schwingt er sich auf sein in der Hauptstadt so beliebtes Fahrrad.

„Kinder spielen sehr gern im Hinterhof“, heißt es in der Beschreibung einer anderen Ferienwohnung. Das fand wohl auch das mir vollkommen unbekannte Kind, das letzte Woche auf dem Roller meiner Tochter an mir vorbeisauste.

Und dann gibt es noch „einladende Straßencafés und verrückte Kneipen“ in „Berlins spannendsten Bezirk“, wo ein buntes Völkchen von „Künstlern, Studenten und Individualisten“ wohnt. Der Typ, der sich vergangenen Sommer immer nackt in seiner Erdgeschosswohnung ohne Gardinen auf dem Bett räkelte, muss aus solchen Beschreibungen geschlossen haben, dass das bei den Neuköllner Individualisten schon in Ordnung ist. TILMAN BAUMGÄRTEL