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Archiv-Artikel

Tote bei PKK-Vergeltungsschlag

Mit einem Anschlag auf einen türkischen Militärkonvoi bricht die kurdische PKK-Guerilla den von ihr vor zwei Monaten ausgerufenen einseitigen Waffenstillstand

Die türkische Armee hat dem Waffenstillstand der PKK nie wirklich getraut

ISTANBUL taz ■ Erstmals, seit die kurdische Arbeiterpartei PKK am 1. Oktober einen einseitigen Waffenstillstand erklärt hatte, hat es gestern wieder einen größeren Anschlag auf türkische Soldaten gegeben. Der Angriff ereignete sich in der Provinz Sirnak nahe der irakischen Grenze. Nach Auskunft eines Militärsprechers waren die Soldaten in ihrem Transporter auf dem Weg zu einem Gesundheitscheck im örtlichen Krankenhaus, als sie in eine Minenfalle gerieten. Durch zwei ferngezündete Minen starben 3 Soldaten, weitere 14 wurden zum Teil schwer verletzt.

Der Angriff der PKK war offenbar ein Vergeltungsschlag, nachdem die Armee bei einem Gefecht in derselben Gegend zwei Tage zuvor fünf PKK-Guerilleros getötet hatte. Nach der Verkündung des Waffenstillstands durch den gefangenen PKK-Chef Abdullah Öcalan, der einen entsprechenden Aufruf durch seine Anwälte hatte verbreiten lassen, waren die Gefechte im Südosten des Landes zwar abgeflaut, hatten aber nie ganz aufgehört.

Der Waffenstillstand der PKK war eine Reaktion auf den Druck, den die beiden kurdischen Führer im Nordirak, Dschalal Talabani und Massud Barsani, ausgeübt hatten, nachdem die USA ihrerseits die beiden kurdischen Parteichefs bearbeitet hatten. Die türkische Regierung beschwert sich seit dem US-Einmarsch im Irak bei ihren US-amerikanischen Verbündeten darüber, dass diese es weiterhin zulassen, dass die Türkei von der PKK aus dem Nordirak heraus angegriffen wird. Nachdem diese Angriffe im Sommer so weit eskaliert waren, dass in einer Woche über zehn türkische Soldaten getötet wurden, drohte die türkische Armee damit, selbst im Nordirak zu intervenieren, wenn die USA die PKK nicht stoppen würden.

Die türkische Armee hat deshalb dem PKK-Waffenstillstand nie vertraut und ihn nur als Teil eines Manövers gesehen, um die Türkei ruhig zu stellen. Sie behauptet außerdem, dass die PKK den beginnenden Winter nur dazu nutzt, sich vollständig in ihre Camps im Nordirak zurückzuziehen, um dann im kommenden Frühjahr wieder zuzuschlagen. Mit diesem Argument hat die Armee PKK-Militante weiterhin verfolgt. Nach Angaben der PKK seien sie im November 25-mal angegriffen worden. Dabei seien neun PKKler getötet worden, während man selbst 23 Soldaten erschossen haben will – eine Zahl, die vom Militär nicht bestätigt wird.

Es ist davon auszugehen, dass schon wegen der verschneiten Pässe in den Wintermonaten die Anschläge nun tatsächlich nachlassen werden. Erst im kommenden Frühjahr wird sich dann zeigen, ob es einen Waffenstillstand gibt. Neue politische Initiativen der türkischen Regierung wird es bis dahin kaum geben, weil im jetzt beginnenden Wahlkampf eine großzügige Amnestie für alle PKK-Angehörigen, wie sie die USA von der Türkei fordern, sich nur negativ für die Regierung auswirken würde. Auch weitergehende politische Richtungswechsel, etwa ein Arrangement mit einem kurdischen De-facto-Staat nach einem möglichen Auseinanderbrechen des Iraks, sind frühestens nach den Parlamentswahlen im kommenden November zu erwarten.

JÜRGEN GOTTSCHLICH