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Archiv-Artikel

Spatzen fliegen auf die Unordnung

ÜBERLEBEN Der Haussperling droht aus vielen Städten Europas zu verschwinden. Berlin aber ist die Stadt mit der größten Spatzendichte. Stärker als der kalte Winter gefährdet die Altbausanierung das Sperlingsparadies

Der Spatz

■ Der Spatz heißt eigentlich Haussperling und ist dem Menschen schon vor 10.000 Jahren in die Siedlungen gefolgt. Hier nistet er an unebenen Häuserwänden, unter Dächern, in Nischen und Höhlen. Die Männchen sind schwarz und braun mit weißen Bäckchen. Die Weibchen graubraun und unscheinbar.

■ Der Spatz mag es unordentlich. Auf Brachen findet er wilde Beeren, Kräuter, Samen und Insekten für seine Brut. In verfallenen Häusern bietet sich genug Platz zum Nisten. Und wenn eine Stadt sich unbedingt herausputzen und versiegeln will, so soll der Mensch doch bitte an Nistalternativen und natürliche Grünflächen denken.

VON MANUELA HEIM

„Keine Spatzen? Ha, ha, ich lach mich tot. Aber die sind doch überall.“ Nur ein einziges Mädchen vermisst in einer Erzählung von Konrad Potthoff die Spatzen. Doch die sind weg, ausgestorben. Auf dem ganzen Planeten. Die Naturschützer hatten sich auf die seltenen Luchse, Wölfe und Schwarzstörche konzentriert, selbst der Wasserfloh stand unter Naturschutz. Der Spatz aber war verschwunden, ohne dass es jemand bemerkt hatte.

1987 veröffentlichte Potthoff seine unheimliche Vision einer Zukunft ohne Spatzen. Damals wartete der noch in Scharen, in jedem Park, an jedem Kaffeehaustisch auf Kinder und einsame Omis mit Brotkrumen. Damals. Heute steht der Spatz auf der Vorwarnliste zur Roten Liste. In Deutschlands Städten werden die Sperlinge rar. Glückliche Ausnahme: Berlin.

„Der Haussperling geht seit Jahren und nicht nur in Deutschland zurück“, sagt Vogelexperte Markus Nipkow vom Naturschutzbund Nabu. So nisten etwa in Hamburg nur noch drei bis vier Brutpaare pro zehn Hektar, vor zehn Jahren waren es doppelt so viele. Ähnlich sieht es im Ruhrgebiet, in Köln und München aus. Und noch viel schlimmer in London, wo der Spatz weniger als einmal pro zehn Hektar rumtschilpt und sich deshalb schon die Regierung um ihn sorgte. Der European Bird Cencus Council hat kürzlich Bestandsdaten für ganz Europa zusammengetragen und festgestellt: Seit 1980 hat die Anzahl der Haussperlinge um über 60 Prozent abgenommen. Über die genauen Gründe können Experten nur spekulieren. Nipkow vermutet, dass den Vögeln die Einschlupfmöglichkeiten fehlen. Im vollsanierten Schick der Großstädte findet sich kaum noch eine Nische zum Brüten.

Ohne Insekt kein Spatz

Außerdem habe sich das Nahrungsangebot verschlechtert. Wildwuchs gebe es kaum noch, stattdessen würden die wenigen Grünstreifen mit Exoten bepflanzt, sagt Nipkow. Vor allem aber gebe es weniger Insekten. Die brauchen die Spatzen, die sich sonst gern mit Krumen und Samen begnügen, im Frühjahr – für die Aufzucht ihrer Jungen.

Seit 2008 steht der Haussperling nun auf der Vorwarnliste der gefährdeten Arten. „Wenn so eine Allerweltsart zurückgeht, ist das ein riesengroßes Alarmzeichen“, sagt Jens Scharon vom Nabu-Ortsverband Berlin. Allerdings sieht es in der Hauptstadt nicht so arg aus.

„Berlin ist eine Spatzenhochburg“, sagt Scharon. Auch hier sinkt ihre Zahl zwar leicht, aber es gibt noch deutlich mehr Spatzen als anderswo: rund 14 Brutpaare pro zehn Hektar, dreimal mehr als in Hamburg und Köln. „Weil Berlin so unordentlich ist“, erklärt Scharon. Er meint damit die vielen Brachen und Grünflächen sowie die immer noch üppig vorhandene unsanierte Bausubstanz. Auf alten Dachböden finden Spatzen reichlich Einschlupfmöglichkeiten und Nistplätze. In vielen Wohnungsgenossenschaften und Kleingärten pflanzen die Bewohner einheimische Beeren und Kräuter an. Die allermeisten Spatzen aber gibt es im Ostberliner Tierpark – zwischen den dort eingesperrten Luchsen oder anderen seltenen Arten.

Dort lässt sich auch der frostige Winter überstehen. „Das ist sicher die schwierige Zeit für den Sperling“, sagt Scharon. Aber anders als an Vollsanierung und Insektenarmut sind die Spatzen seit über 10.000 Jahren an harte Winter gewöhnt. Körner und Samen gibt es von Kindern und Omis. Gegen die Kälte setzen sie sich – frei nach Christian Morgensterns „Drei Spatzen“ – dick aufgeplustert, Bauch an Bauch in einen leeren Haselstrauch. Und obendrüber schneit es, hu.

Auch in Potthoffs Erzählung nimmt es ein glückliches Ende: Ein paar Exemplare finden sich noch auf einer verlassenen Weltraumstation. Sozusagen das Berlin der Spatzen.

■ Konrad Potthoff: „Wilhelmine. Alle Abenteuer“. Projekte-Verlag, Halle/Saale 2007