: Skepsis im Nass
Der deutsche Schwimmverband will bei der Kurzbahn-EM in Helsinki an die Erfolge des Sommers anknüpfen
BERLIN taz ■ Es war ziemlich genau vor einem Jahr, als den Deutschen Schwimmverband (DSV) ein Hauch von Weltuntergangsstimmung umgab. Ralf Beckmann, der damalige Sportchef, und Christa Thiel, die Präsidentin, waren sich ins Gehege gekommen. Es war der Machtkampf zweier Figuren, die beide nicht ganz frei von Eitelkeiten waren. Am Ende ging Beckmann. Der DSV wurde auf seiner Suche nach einem neuen Sportchef im Norweger Örjan Madsen fündig.
Kaum jemand hätte auch nur einen Cent darauf gesetzt, dass der Schwimmsport die Reha-Phase binnen kurzer Zeit erfolgreich absolviert. Denn noch immer wirkte das vermeintliche Desaster der Olympischen Spiele nach, wo vor allem die Vorzeige-Schwimmerinnen Franziska van Almsick und Hanna Stockbauer enttäuscht hatten. Wieder einmal standen also im DSV die Zeichen auf Neubeginn – wie im Winter 2001, als Beckmann zum Chef bestellt worden war.
Und heute? Alles scheint bestens. Im Sommer reüssierten die Schwimmer in Budapest bei den Europameisterschaften auf geradezu atemberaubende Weise. Für die Kurzbahn-EM in Helsinki, die gestern begonnen hat, stellt der DSV eine ganze Reihe von Medaillenkandidaten, die an den wundersamen Aufschwung des Sommers anknüpfen sollen, der manchen unerklärlich erschien.
Für manche aber sind die Gründe ganz einfach. Örjan Madsen, der neue sportliche Leiter, ist für sie der geistige Vater eines mittelgroßen deutschen Schwimmwunders, das sich in einer kleinen Weltrekordflut bei den Europameisterschaften in Budapest entlud. Der Norweger hat schnell seine Fans im Lager der Trainer gefunden. „Ein absoluter Fachmann, ein Mann mit hoher Kompetenz. Ich arbeite gern mit ihm zusammen“, sagt Norbert Warnatzsch, Coach der 100-Meter-Freistil-Weltrekordlerin Britta Steffen, die in Helsinki wegen einer Grippe-Erkrankung fehlt. Warnatzsch ist unter den Stützpunkttrainern selbst eine Größe; er führte Franziska van Almsick 2002 zum noch immer aktuellen Weltrekord über 200 Meter Freistil in Berlin.
Seine derzeitige Vorzeigeathletin Steffen schwamm zuletzt auf einem Niveau, das man noch vor einem Jahr für undenkbar gehalten hätte. Zuletzt, bei den deutschen Meisterschaften, die gleichzeitig die Qualifikationsläufe für die im März in Australien stattfindenden Weltmeisterschaften waren, absolvierte sie die 100 Meter in 53,78 Sekunden. Doch anders als im Falle Franziska van Almsicks, deren Rekordläufe als natürlicher Leistungsausweis eines Wunderkindes gefeiert wurden und nicht von den üblichen Verdächtigungen begleitet worden waren, traf die Explosion der nicht minder begabten Steffen allerorts auf Skepsis. Warnatzsch entgegnet den Zweiflern: „Wir konservieren Blutproben, die auch dann noch überprüft werden können, wenn einmal neue Nachweismethoden existieren. Mehr können wir nicht tun.“
Der Skepsis steht ein beinahe grenzenloser Optimismus gegenüber. Und darin erinnert manches an die Stimmung im Jahre 2002, als die Kurzbahn-EM in Riesa stattgefunden hatte und sich die DSV-Verantwortlichen in den Erfolgen des Sommers sonnen konnten. Auch damals lagen exzellente Europameisterschaften hinter ihnen, auch damals wurden die Ergebnisse als eine Reaktion auf schwache Olympische Spiele gefeiert – und als Ergebnis der Trainingsarbeit, die der neue Sportchef Beckmann mit seinem Team geleistet hatte. In Berlin schwamm die Freistilstaffel Weltrekord – wie auch in Budapest. Und Franziska van Almsick sicherte sich über 200 Meter Gold in Weltrekordzeit. Deren über Jahre beinahe unantastbare Bestmarke wackelte zuletzt bedenklich. Es war keine unbekannte Athletin aus dem Reich der Mitte, die den 1:56,64 Sekunden so nahe kam, es war auch niemand aus Australien. Es war die Würzburgerin Annika Lurz, die bei den Deutschen Meisterschaften in Hannover den Fabelwert um nur neun Hundertstelsekunden verfehlte.
STEFAN OSTERHAUS