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Bolivien: Proteste gegen Morales

Im Streit über eine neue Verfassung gehen Teile der Opposition in den Hungerstreik

PORTO ALEGRE taz ■ In Bolivien weitet sich die Auseinandersetzung um die Geschäftsordnung der verfassunggebenden Versammlung zu einer Protestwelle aus. Vorgestern beteiligten sich bereits 1.200 Menschen in vier Departements an einem Hungerstreik gegen die Regierung des linken Präsidenten Evo Morales, darunter vier oppositionelle Gouverneure und sämtliche Kongressabgeordneten der rechten Partei Podemos in La Paz.

Vor vier Monaten wurde die verfassunggebende Versammlung in Sucre eröffnet, doch bisher hat man sich immer noch nicht über die Geschäftsordnung verständigt. Dem neuen Grundgesetz müssen mindestens zwei Drittel der 255 Parlamentarier zustimmen, darauf hatten sich Regierung und Opposition im März geeinigt. Doch bald änderte Präsident Evo Morales seine Meinung und wollte diese Bestimmung nur auf den Gesamttext bezogen wissen. Seine „Bewegung zum Sozialismus“ (Mas) stellt nur gut die Hälfte der Abgeordneten.

Seitdem die Mas vor drei Wochen die Regierungsposition durchsetzte, die einzelnen Artikel mit einfacher Mehrheit zu verabschieden, geht nichts mehr in Sucre. Zunächst traten die Parlamentarier der kleinen Mitte-rechts-Partei „Nationale Einheit“ (UN) in den Hungerstreik. „Ohne Gegengewicht gibt es keine Demokratie“, sagte UN-Chef Samuel Doria Medina, der 13 Tage lang auf einem Matratzenlager im Plenarsaal hungerte. „Bei der Schlussabstimmung kann uns die Mas mit dem Druck der Straße ausschließen und so die Zweidrittelmehrheit bekommen. Morales sagt, die oberste Instanz sei die Versammlung – in Wirklichkeit entscheidet er“, meint der ehemalige Präsidentschaftskandidat.

„Die absolute Mehrheit ist nicht verhandelbar“, findet dagegen der Mojeño-Indianer Miguel Peña aus der Tieflandprovinz Beni, der auf dem Mas-Ticket gewählt wurde. „Die kleinen Gruppen, die jahrhundertelang die Ausplünderung Boliviens organisiert haben, können nicht akzeptieren, dass sie jetzt ihre Privilegien abgeben müssen.“ Vor Jahren wurde der Aktivist im Auftrag der Großgrundbesitzer verfolgt und vertrieben.

Besonders vehement wird in der östlichen Provinz Santa Cruz protestiert, wo Agroindustrielle und Großgrundbesitzer auch wegen des kürzlich verabschiedeten Gesetzes über eine Landreform aufgebrachter sind denn je. Gouverneur Rubén Costas, der jetzt auch für die Zweidrittelmehrheiten in Sucre hungert, drohte am Dienstag mit der Ausrufung einer „wirklichen Autonomie“. Evo Morales, selbst erfahren in Aktionen zivilen Ungehorsams, forderte die Demonstranten zum Einlenken auf, denn heute empfängt er seine Kollegen zum Südamerikagipfel in Cochabamba: „Alle Mobilisierungen sollten eingestellt werden, dann ist es möglich, sich zu einigen.“ Doch in der Sache blieb er hart: „Niemals werden wir uns ergeben“, rief er in der Kleinstadt Viacha, „es geht darum, Bolivien zu verändern, es geht darum, die natürlichen Ressourcen zurückzugewinnen.“ Die Hungerstreikenden wollten bloß „die Privilegien einiger Sektoren im Osten verteidigen“.

Die permanente Polarisierung hat auch die Armee aufgeschreckt. „Wir gehen nicht davon aus, dass es zu einer Teilung des Landes kommen könnte“, sagte Heereskommandant Freddy Bersatti, „aber schon zu Auseinandersetzungen. Das Heer ist bereit, der Polizei zu helfen, falls es nötig werden sollte.“

GERHARD DILGER

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