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Archiv-Artikel

Mein Ausstieg

Gabriel Landgraf, 29, zählte zu den rechten Kadern in Berlin und Brandenburg. Im vergangenen Jahr sagte er sich von der Neonazi-Szene los.

„Ich war 13, als ich erste Berührungen mit der rechten Szene hatte. Viel lief über Musik und den Willen, dazuzugehören. Anfangs hörte ich Störkraft, Endstufe und Werwolf, deren Texte sich platt auf Saufen, Skinheads, Deutschland und Gewalt bezogen. Heute ist die Musik der Neonazis anspruchsvoller und differenzierter. Morgens ging ich brav in die Waldorfschule, und am Wochenende grölte ich mit Bomberjacke und Hertha-Schal ausländerfeindliche Parolen.

Ich wuchs zum Teil bei meinen Großeltern auf. Schon als Kleinkind bekam ich beim Zähneputzen NS-Lieder vorgeträllert. Mein Großvater erzählte mir von seiner Wehrmachtszeit. Ich identifizierte mich mit ihm und verteidigte die Nazizeit in der Schule und gegenüber meiner Mutter. Ich genoss das Anderssein und entschied mich irgendwann, politisch aktiv zu werden.

Mein Ziel war es, den Nationalsozialismus salonfähig zu machen und als Lösung für aktuelle Probleme zu propagieren. Ich versuchte, eine nationale Jugendbewegung zu schaffen, organisierte Feiern und Unternehmungen, um Kontakte zu pflegen. So entstand die heute verbotene ‚Berliner Alternative Süd-Ost‘. Später gründete ich noch den Berliner Ableger des ‚Märkischen Heimatschutzes‘. Ich machte eigentlich jeden Mist, den ich machen konnte.

Die Entscheidung, mich von dieser Ideologie zu lösen, war der schwerste Schritt in meinem Leben. Die rechte Szene erscheint mir wie ein sektenartiges Gebilde: Man entfremdet sich von der Gesellschaft, probiert, eigene Strukturen aufzubauen. In manchen Lebenslagen funktioniert das, von der gemeinsamen Freizeitgestaltung über ein soziales, politisches Umfeld bietet die Szene fast alles, seien es Konzertbesuche und politische Events oder Fußballturniere und Hausaufgabenhilfen. Das Bild vom kahlgeschorenen, stiefeltragenden Neonazi spiegelt nicht mehr die aktuelle Realität.

Vergangenes Jahr im Sommer ging es für mich nicht mehr weiter. Es war nicht das eine Ereignis, das meine Zweifel weckte, sondern es waren die vielen Widersprüche: der Kameradschaftsführer, der am Abend nach Polen ins Bordell fährt; Floskeln über Treue und Familie von Männern, die zu ihren Kindern weder Kontakt haben noch Unterhaltsgeld zahlen; die antikapitalistischen Phrasen, mit denen für jeden Einschnitt ins Sozialsystem die Juden verantwortlich gemacht werden. Oder dieser kämpferische Anschein, gegen den Staat zu sein, und sich andererseits die Sozialhilfe vom Amt zu holen.

Im Sommer 2005 herrschte eine rechte Gewaltwelle in Potsdam, zwei junge Männer aus der alternativen Szene wurden fast totgeschlagen. Unter den Tätern waren mehrere Personen, die ich gut kannte. Einen Tag nach dem Angriff rief mich die Polizei an und bat mich im Namen eines Inhaftierten, Kleidung in die Haftanstalt zu bringen. Ich fuhr zu seiner Mutter. Mich erwartete eine aufgelöste Frau, die mich unter Tränen damit konfrontierte, welche Mitschuld ich trug. Erst verspürte ich Zorn und fühlte mich nicht verantwortlich, später wurde mir klar, dass ich älter war als er und ihn sicher auch politisiert habe.

Je weniger ich mich mit dem Gedanken eines Racheakts für meinen Ausstieg beschäftige, umso leichter lebe ich. Als ich meine Abkehr öffentlich machte, klärten sich die Fronten schnell. Die ehemaligen Kameraden mussten reagieren. Sie schickten einen diffamierenden Artikel herum.

Ich will weder im Mittelpunkt stehen, noch möchte ich mir ein Berufsfeld als Vorzeigeaussteiger schaffen. Aber ich habe eine Verantwortung. Ich war als Neonazi eine Person der Öffentlichkeit und kann mich nun nicht verstecken. Ich möchte über die Gefahren des Rechtsextremismus aufklären und anhand meiner eigenen Biografie die Muster, Verhaltensweisen und Strategien der extremen Rechten aufzeigen.“ GABRIEL LANDGRAF