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Archiv-Artikel

Promis auf dem roten Sofa

Tokio Hotel, Sportfreunde Stiller, Xavier Naidoo und natürlich Udo Lindenberg – das sind Gewinner der Eins Live Krone 2006. Der Musik-Event mutierte in der Bochumer Jahrhunderthalle zu einer intimen Fernsehpreis-Veranstaltung ohne Höhepunkte

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Es ist Kirmes. Klingt jedenfalls so. Unentwegt wird gequietscht und geschrien, als wäre eine Achterbahn im Looping stecken geblieben und die Menschen hingen nun kopfüber. Doch da ist keine Achterbahn vor der Jahrhunderthalle in Bochum. Bloß ein roter Teppich, an dem alle paar Minuten ein Auto hält und irgendein Sasha aussteigt. Oder eine Nena. Oder Fettes Brot. Und dann wird eben gequietscht und geschrien. So ist das Gesetz.

Gewöhnlich residiert in der Jahrhunderthalle die Ruhrtriennale, ein feines Festival mit feinem Publikum – Bildungsbürgertum, das in der Regel wenig quietscht, zumindest nicht öffentlich. Doch am Donnerstagabend hatte die WDR-Jugendwelle Eins Live die Halle besetzt, um Die Krone zu verleihen, den nach eigenen Angaben „größten Radio-Award Deutschlands“. Die Gewinner wurden von den Hörern ausgewählt. Zum ersten Mal passierte die Preisverleihung in Bochum und nicht mehr in Oberhausen, wo früher 10.000 Menschen in die Arena kamen. Nun sind es nicht mal tausend, die Karten wurden verlost, das Konzept geändert: intimere Show, mehr Talk, weniger Preisverleihung. Die Presse hatte man gleich im zugigen Triennale-Zelt vor der Halle gelassen.

Das Resultat: Das Quietschvolk kann drinnen brav aufgereiht sitzen – die Promis zwischendurch auf einem roten Sofa. Stehplätze wurden gänzlich abgeschafft. Atmosphärisch herrscht dadurch eine Mischung aus Fernsehpreis und „Wetten, dass...“, moderiert von den Eins Live-Gewächsen Anja Backhaus und Olli Briesch. Dazu noch ein musikalischer Jahresrückblick. Damit kann man bekanntlich nie früh genug beginnen. Aber erst einmal wird ein bisschen geplaudert. Zum Beispiel über die Fußball-WM. Mit Gerald Asamoah und Sönke Wortmann, der es sich übrigens nicht vorstellen kann, Lukas Podolski oder Bastian Schweinsteiger für einen echten Film zu engagieren. Schließlich müsse man da etwas auswendig lernen.

Und dann laufen die „Bilder des Jahres“, sozusagen Kern der Retrospektive auf das Popjahr 2006, das man nach deren Durchsicht ruhig pupslangweilig nennen darf – jedenfalls wenn man es durch die Brille der Eins Live-Hörerschaft sieht. Größter Schocker ist Madonna, wie sie sich auf ihrer Welttournee ans Kreuz binden ließ. Auf den hinteren Plätzen: Tote Hose Campino als Mackie Messer, Robbie Williams in Köln (präsentiert von Eins Live) und die schräge Grup Tekkan, über die noch kurz ernsthaft diskutiert wird. Unter anderem mit den Herren von Fettes Brot, die wohl große Lust auf Fragen haben. Angesprochen auf Robbie Williams sagt König Boris bloß: „Ähm... hab nur gehört, dass er gut bumsen kann.“

Was noch? Eine gelungene Klinsmann-Parodie von Briesch und ein großer Auftritt von Jan Delay, der mit der WDR-Bigband spielte. Und, ach ja: Die Preise natürlich. Da ist alles beim Alten. Alle paar Minuten kommen deutsche Musiker auf die Bühne und sagen, was man halt so sagt. Häufigster Satz: „Sagen ja immer alle, sie hätten nicht damit gerechnet, zu gewinnen – WIR haben aber jetzt WIRKLICH nicht...“ undsoweiter. Dass Tokio Hotel zum besten Liveact geadelt wird und nicht die Berliner Band Seeed, kann man bedauern. Wie die Tokio-Buben selbst, die stets von Schrank gewordenen Männern mit Stierblick bewacht werden.

Zuletzt der Preis fürs Lebenswerk, der an Udo Lindenberg und damit an den Richtigen geht. Nena, einst Lindenbergs Gefährtin, hält die Laudatio aus einer Art Poesiealbum. So klingt es auch dann: „Udo, du bist mein Freund und ich hab‘ dich lieb“, spricht Nena, bevor Lindenberg reinkommt, Eierlikör säuft und was von „Panikwissenschaften“ knödelt und von „Erektionsgefahr“, als ein Fast-Nacktbild von ihm eingeblendet wird. Auch hier, also bei Lindenberg: alles beim Alten. Dann singt er noch mit Silbermond und seinem Panikorchester. Das Quietschen ist längst verstummt.