: Anpinnen als Mitmachsport
Einheitspreis, Einheitsformat: Der Berliner Poster Verlag möchte Kunst erschwinglich machen. Wolfgang Tillmanns für zehn Euro. Noch bleiben allerdings die Kunden aus – haben die Achtziger das Poster doch zu stark in Mitleidenschaft gezogen?
VON JAN KEDVES
Während man sie oben noch an die Wand pinnt, rollen sie sich unten schon wieder zusammen, nachher hängen sie dann meistens schief, und Fingerdatscher sind sowieso immer drauf: Poster sind die unzähmbaren Biester der Wohnkultur. Als Jugendzimmerzierrat waren sie mal überaus beliebt, Schüler kauften massig Karibikstrand- und Pferdekoppel-Impressionen und ließen sich von der hochproblematischen Handhabe nicht abschrecken. Das ist lange her. Wer hängt sich heute noch freiwillig Poster an die Wand?
Geht man vom bisherigen Erfolg des Berliner Poster Verlags aus, sind es tatsächlich nicht allzu viele Menschen. Tine und Mo Whiteman, die den Verlag vor sechs Monaten in der Auguststraße eröffnet haben, wundern sich mittlerweile selbst darüber, dass ihre Geschäftsidee noch nicht richtig eingeschlagen hat. In ihrem Shop, der in dunklem Förstergrün gehalten ist, führen sie immerhin weder Eighties-Kitsch noch Kunstdrucke der alten Meister. Was sie hier zum Einheitspreis von zehn Euro anbieten, sind Kunstwerke. „Echte Kunstwerke“, betonen die beiden. Thomas Scheibitz, Björn Dahlem, Katja Strunz: In den Regalen stapeln sich Rollen mit Posterentwürfen durchaus renommierter Künstler. Alle wurden eigens für den Verlag gestaltet, die Auflagen sind nicht limitiert. „Kunst soll kein reiner Zuschauersport sein“, sagt Mo Whiteman, während seine Frau Tine das hübsch egalitäre Verlagsmotto, „Kunst für alle!“, erläutert: „Nicht alle müssen unbedingt Kunst haben. Aber zumindest sollen alle die Möglichkeit haben, ein echtes Kunstwerk zu kaufen, wenn sie wollen.“
Natürlich kamen Tine und Mo Whiteman nicht aus heiterem Himmel auf die Idee, Kunstposter zu drucken und alle drei Monate eine Kollektion von vier neuen Entwürfen herauszubringen: Tine Whiteman arbeitet unter ihrem Mädchennamen Tine Furler selbst als Künstlerin – vor einigen Jahren noch brachte man sie mit der Berliner Galerie Maschenmode in Verbindung. Ihr Mann Mo verdient sein Geld als Werber. Und beide betätigten sich selbst auch als Kunstsammler. Mit dem Posterverlag wollen sie nun ausprobieren, was passiert, wenn man Kunstwerke ihres Exklusivitäts- und Wertsteigerungsmythos beraubt. Und siehe da: Zum Verkaufsrenner hat sich bislang keines der Poster entwickelt. Obwohl manche tatsächlich sehr schön sind. Stammkunden gibt es noch keine. Stattdessen kam einer, dem sein Poster nicht mehr gefiel, und wollte es umtauschen.
Umtauschen! Ein Kunstwerk! „Manchmal haben wir das Gefühl, zehn Euro sind zu billig“, sagt Tine Whiteman. Während die Whitemans also an ihrer Idee zweifeln, stecken die beteiligten Künstlern in dem, was man im Neu-Deutschen als Win-win-Situation bezeichnet: Sollte der Verlag Pleite gehen und nicht mehr unlimitiert nachdrucken, werden ihre Poster doch noch zu dem, was sie eigentlich nicht sein sollen: Anlageobjekte. Eigentlich ein bisschen ungerecht.
Vorerst aber führen die Whitemans ihr Experiment mit einer neuen Kollektion fort. Für die sind sie wieder vorgegangen wie bei den ersten: Sie haben einerseits befreundete Berliner Künstler um Postergestaltungen gebeten und andererseits auf das „Jeder kennt jeden um sechs Ecken“-Modell gesetzt, das sie an zunächst unerreichbar geglaubte Kunststars heranbrachte.
Und als ob ihnen das Format „Poster“ erstmal selbst nicht ganz geheuer war, untersuchen diese Künstler das Poster nun auf seine Präsentierbarkeit: Wolfgang Tillmans hat ein Poster abfotografiert, das einen Männerkörper in Jeanshose zeigt, vom Knie bis zum Bauchnabel, und das vom vielen Zusammenfalten ganz zerknittert ist. Dirk Bell wiederum hat ein weißes Blatt fotografiert, das nur oben in der Mitte festgenagelt ist und dessen Ecken schlaff herunterhängen. Das sind nicht nur schöne Gedanken zum Thema, sondern tatsächlich auch schöne Bilder. Doch ob sie wirklich jemand an seine Wand hängen will?
Tine und Mo Whiteman wollen heute erst mal feiern. Mit Bier werden sie auf die neue Kollektion anstoßen – wenn auch in Abwesenheit der Künstler. Sie hätten sich schon gefreut, wenn diese vorbeigekommen wären. In den USA findet aber gerade die Kunstmesse Art Miami statt. Und eine Berliner Geschäftsidee kann noch so hübsch sein: Das Künstlerleben verlangt, immer dorthin zu fliegen, wo gerade das Geld ist.
Releaseparty heute 19–22 h, Auguststr. 52, www.berlinerposterverlag.com