: Eine kurze Ökonomie des Glücks
Auch der Staat verdient an den Spielsüchtigen und muss sie deshalb schützen. Doch die Automaten, an denen die meisten ihr Glück versuchen, gelten nicht als Glücksspielautomaten. Darüber wurde auf dem Kongress diskutiert
Jährlich verlieren die Berliner und Berlinerinnen rund 116 Millionen Euro an den 17.752 Geldspielautomaten, die in den Spielhallen und Kneipen der Stadt stehen. Von dem verspielten Geld fließen 12,7 Millionen Euro dem Staat als Steuer zu. Auf 191 EinwohnerInnen kommt ein Automat. Damit haben die HauptstadtbewohnerInnen eine doppelt so große Chance, sich an einem Gerät zu vergnügen oder zu ruinieren, wie der Durchschnitt des Bundesgebietes. Dort müssen sich 388 Einwohner einen in Spielerkreisen auch Daddelkiste genannten Automaten teilen.
Diese Zahlen wurden auf der Jahrestagung des Fachverbandes Glücksspielsucht, die gestern in Berlin zu Ende ging, veröffentlicht. Da mehr als zwei Drittel der Spielsüchtigen ihr Geld an den Automaten verspielen, steht der Umgang mit ihnen besonders in der Kritik. Denn Spielautomaten, die in Spielhallen und Kneipen stehen, gelten gar nicht als Glücksspielautomaten, sondern als „Unterhaltungsspielautomaten“ – wie etwa ein Flipper. Die offene Frage, die man sich auf der Tagung deshalb stellte: Wird in diesem Zusammenhang genug zum Schutz der Bevölkerung vor Spielsucht getan?
Prävention war eines der zentral diskutierten Anliegen auf der Tagung, auch aus einem zweiten Grund. Denn geplant ist, dass in der kommenden Woche ein neuer Staatsvertrag der Länder zum Glücksspielwesen in Deutschland unterzeichnet wird, aus dem ersichtlich wird, dass die Länder als Anbieter von Glücksspielen die Bevölkerung gezielt vor Spielsucht schützen. Andernfalls ist das staatliche Monopol infrage zu stellen, hatte der Bundesverfassungsgericht im Frühjahr entschieden. Dem Fachverband Glücksspielsucht geht der jetzige Entwurf nicht weit genug.
Für Deutschland gibt es keine epidemiologischen Studien zu Spielsucht. Untersuchungen aus der Schweiz und Schweden, die auf Deutschland hochgerechnet wurden, kommen zum Schluss, dass es etwa 400.000 Spielsüchtige gibt. Dabei sind Süchtige in allen Glücksspielsparten zu finden, auch beim Lotto.
Auf der Tagung wurde besonders betont, dass die öffentliche Hand, die in ihren staatlichen Lotterien „Sehnsucht und Hoffnung verkauft“, wie Horst Witt vom Fachverband Glücksspielsucht sagt, gleichzeitig der größte Nutznießer der Spielleidenschaft ist. Etwa 4,5 Milliarden Euro nimmt er insgesamt an Steuern und Gewinnen von Lotterien und Glücksspielen ein. Besonders bedenklich sei, so der Hamburger Professor Michael Adams, dass ärmere Leute mehr spielen. Er weist darauf hin, dass sich der Staat das Geld, das er den Armen in Form von Hartz IV etwa zubilligt, im Grunde durch die Steuereinnahmen, die beim Glücksspiel fällig werden, wieder zurückholt. WALTRAUD SCHWAB