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Archiv-Artikel

Die Klappe ganz weit aufreißen

KONZERT Das Brian Jonestown Massacre ist ein gut gepflegter Ego-Trip von Anton Newcombe. Am Sonntag spielt er im Postbahnhof

Die neue Platte „Revelation“ ist das erste Album, das Newcombe komplett im eigenen Studio in seiner Wahlheimat Berlin aufgenommen hat. So eingängig kam er niemals zuvor daher

Wie wird man eigentlich ein Genie? Die sicherste Methode ist immer noch: sich möglichst erratisch benehmen, kräftig rumzicken, zwischendurch einfach mal verschwinden, katastrophale Geschäftsentscheidungen treffen, sich mit dem eigenen Publikum streiten und – ganz, ganz wichtig! – eine richtig große Klappe haben. So hat es jedenfalls Anton Newcombe geschafft, sich einen Status als kultisch verehrtes Genie zuzulegen. Denn das wird immer noch, dem Klischee sei Dank, vornehmlich in den Grenzbereichen zum Wahnsinn vermutet.

Doch auch ein Grenzgänger wie Newcombe wird älter und ruhiger. Nachzuhören ist das auf „Revelation“. Es ist das bereits 14. Album des Brian Jonestown Massacre, die eigentlich keine Band sind, sondern eher ein gut gepflegter Ego-Trip des mittlerweile 46-jährigen Newcombe, der die Bandmitglieder bisweilen schneller wechselt, als diese den Bandnamen auswendig lernen können.

„Revelation“ ist nun das erste Album, das Newcombe komplett im eigenen Studio in seiner Wahlheimat Berlin aufgenommen hat. So eingängig, freundlich und mittelschnell kam er niemals zuvor daher. Keine Lärmexzesse mehr, kaum mal ein Ausflug ins Atonale. Stattdessen klingen die Songs mit ihren akustischen Gitarren, dem unvermeidlichen Tamburin und gelegentlichen Bläsern zwar nicht eben wie der Soundtrack zur Invasion der Blumenkinder, aber doch entschieden aufgeräumter, als man es von Newcombe kennt. Bei ihm waren die goldenen Sixties immer sehr viel verderbter und dunkler, in seinem Kosmos regierten eher die Velvet Underground, die Beach Boys waren stattdessen ausgeladen, wenn die großen Jungs feierten.

Bereit, die Karriere gegen die Wand zu fahren

Wie radikal Newcombe dem Bösen nachforschte, wurde erstmals einem größeren Publikum durch den Dokumentarfilm „Dig!“ aus dem Jahre 2004 bekannt. In dem werden ausführlich die Freundschaft und das anschließende Zerwürfnis zwischen dem Brian Jonestown Massacre und den ungleich erfolgreicheren Dandy Warhols nachgezeichnet, drogeninduzierte und bisweilen handgreifliche Auseinandersetzungen inklusive. Seitdem hat Newcombe seinen Ruf weg: Ein größenwahnsinniger Irrer, der notfalls auch bereit ist, die eigene Karriere gegen die Wand zu fahren.

Dass Newcombe 2008 nach Berlin zog, wirkte ein wenig wie die Flucht vor dem eigenen schlechten Image. Mittlerweile aber hat er dem Alkohol abgeschworen und ist Vater eines Sohnes geworden, der den reizenden Namen Wolfgang Gotthardt Newcombe trägt. Das mag zu der musikalischen Wandlung beigetragen haben, die auf „Revelation“ nachzuhören ist. In Interviews allerdings demonstriert Papa, dass er immer noch ganz der Alte ist, schimpft auf Kollegen und regt sich auf über den Zustand der Welt. Und wenn man ganz genau hinhört auf „Revelation“, dem fiesen Hall nachspürt oder den tief im Magen vibrierenden Zwischentönen, dann merkt man, dass Anton Newcombe wohl doch zu recht seinen Ruf als Genie weg hat: So hinterlistig lieblich klang der Wahnsinn selten. THOMAS WINKLER

■ The Brian Jonestown Massacre: „Revelation“ (A Recordings/Cargo), live am 8. 6. im Postbahnhof