„Ich hab mich gefreut“

Biathletin Andrea Henkel dominiert mit zwei Siegen das Weltcupwochenende von Hochfilzen. Sie profitiert von einer verletzungsfreien Vorbereitung und dem Training mit einer Eisschnelllaufgruppe

Aus hochfilzen katrin zeilmann

Hätte sie das mit den Ohrringen bloß verschwiegen. Irgendwann einmal hatte Andrea Henkel erzählt, ein paar „Glückskäfer-Ohrringe“ zu tragen. Der Stadionsprecher beim Weltcup in Hochfilzen wies nun also darauf hin, der TV-Kommentator erwähnte es, und auf der Pressekonferenz wurde sie danach befragt. Dabei ist Henkel nun wirklich nicht der Meinung, ihre derzeit herausragende Form und die zwei Weltcupsiege in Hochfilzen auf die Schmuckstücke zurückführen zu können. „Momentan stimmt eben alles, ich habe eine gute Form und gutes Material.“ Und fügt an: „Wenn’s läuft, dann läuft’s. Ich glaube eher an das Glück des Tüchtigen als an einen Talisman.“

Schon beim Weltcup-Auftakt in Östersund hat die am Sonntag 29 Jahre alt gewordene Thüringerin das gelbe Trikot der Weltcup-Spitzenreiterin übernommen. Derart dekoriert gewann sie in Hochfilzen am Freitag zunächst das Sprintrennen, um am Samstag auch die Verfolgung souverän als Erste zu beenden. Ihr Vorsprung war so groß, dass sie sich ein Grinsen im Gesicht leisten konnte, als sie den letzten Schuss daneben setzte und eine Strafrunde drehen musste: „Ich wusste ja, dass es reichen würde.“ Trainer Uwe Müssiggang sagte: „So einen Fehler kann man verzeihen.“

Die deutschen Biathletinnen knüpfen nahtlos an die gelungene Vorsaison an, als Kati Wilhelm olympisches Gold in der Verfolgung holte und später den Gesamt-Weltcup gewann. Nur, dass eben nicht Wilhelm im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern Andrea Henkel. Mit dieser Rolle muss sie sich erst anfreunden. Das Thema Glück bringende Ohrringe war gerade abgehakt, da traf sie die Frage, was ihr denn durch den Kopf gegangen sei, als sie im strömenden Regen von Hochfilzen als Erste über die Ziellinie laufen durfte: „Na, ich hab mich gefreut,“ antwortete sie, und es klang wie eine Gegenfrage, was man denn sonst erwartet habe.

Andrea Henkels Tonfall wirkt gelegentlich etwas schnoddrig, aber ihre Sätze sind meist gut überlegt. Sie hat ja gute Gründe für ihren Erfolg: „Ich war nie krank in der Vorbereitung, konnte immer kontinuierlich trainieren“, berichtet sie. Um neue Reize im Training zu setzen, hat sie in Frühjahr und Sommer gelegentlich mit einer Eisschnelllauf-Trainingsgruppe in Berlin zusammengearbeitet. Außerdem müsse sie den Service-Männern danken, die ihre Skier so gut präpariert haben, sodass sie keine große Mühe hatte, durch den sulzigen Schnee in Hochfilzen zu pflügen. Das sind zwar alles keine spektakulären Erklärungen, aber bei Henkel haben vermutlich alle für den Erfolg nötigen Faktoren wieder zusammengefunden.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass sie in den Genuss des Siegens kommt: 2002 in Salt Lake City gewann sie Einzel- und Staffelgold, doch danach folgten keine weiteren Top-Resultate. Erst 2005, bei der WM in Hochfilzen, meldete sie sich zurück mit dem Titel im Einzelrennen – dabei war sie nur als Ersatzläuferin nominiert worden. „Es lief lange nicht gut“, gesteht sie. Doch Aufgeben kam nicht in Frage. „Sie ist sehr konsequent und geht ihren Weg. Jetzt wird sie dafür belohnt“, findet Müssiggang.

Der Bundestrainer weiß zur Zeit gar nicht, wen er alles loben soll in seinem Team: Henkel natürlich, weil sie im Weltcup führt. Aber auch Kati Wilhelm, die nach ihren Erfolgen im Vorwinter keinerlei Motivationsprobleme verspürt und in Hochfilzen zwei vierte Plätze verbuchte („Es hätte schon einmal das Podest sein dürfen, aber ich bin trotzdem zufrieden.“). Oder Martina Glagow und Katrin Apel, die sich am Samstag trotz widriger Bedingungen bei starkem Regen und weichem Schnee die Plätze fünf und sieben sicherten. Und schließlich Magdalena Neuner, 19 Jahre altes Talent aus Wallgau in Bayern: In der Verfolgung verbesserte sie sich von Startplatz 28 auf Rang acht – und das mit Laufbestzeit. „Sie muss beim Stehendschießen noch Erfahrung sammeln, das weiß sie selbst“, sagt Müssiggang, dem es seit Jahren scheinbar mühelos gelingt, ein erfolgreiches Team zu formen, begabten jungen Biathletinnen wie Neuner immer wieder eine Chance zu geben – aber auch Athletinnen wie Henkel, die lange mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, nicht abzuschreiben.