: „Ich bin für die Legalisierung aller Drogen“
Der Verband „Eltern für akzeptierende Drogenarbeit“ kämpft für die Entkriminalisierung aller Abhängigen
taz: Herr Heimchen, statt „Therapie vor Strafe“ soll es künftig heißen „Strafe vor Therapie“. Was halten Sie davon?
Jürgen Heimchen: Da halte ich überhaupt nichts von. Die Leute sind wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz bestraft worden. Die gehen nicht erst in den Knast und dann noch in eine Therapie. Warum sollten sie?
Es ist Teil ihrer Haftzeit.
Das ist alles richtig. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Im Knast werden sie sowieso weiter an Drogen kommen, das ist ja nun mal bekannt. Ich glaube, dass der umgekehrte Weg der bessere ist.
Würden Sie sich drogenfreie Gefängnisse wünschen?
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Eigentlich müsste man das gutheißen, wenn die Gefängnisse drogenfrei wäre. Aber was machen dann die Abhängigen? Einen kalten Entzug. Die drehen am Rad. Dann müsste auf jeden Fall substituiert werden. Im Endeffekt wünsche ich mir aber natürlich, dass unsere Kinder clean werden.
Wie bewusst ist den Eltern, dass es Drogen im Knast gibt?
Das ist in unsrer Elterngruppe schon seit Jahren ein Thema. Aber wenn man verfolgt, was in den letzten Wochen im Knast alles passiert ist, Stichwort Siegburg, konnte man sehen, was noch alles möglich ist. Die Eltern haben jetzt wieder Angst. Früher waren sie immer beruhigt, haben gesagt: „Ich bin froh, dass mein Kind festgenommen worden ist, jetzt ist es im Knast, da kann ihm nichts mehr passieren. Die Kinder erholen sich ja sogar da, weil sie regelmäßiger essen.“ Ist natürlich ein wenig paradox, so zu denken. Aber diese Einstellung hat sich total verändert. Die Eltern haben jetzt wieder Angst, wenn ihre Kinder in den Knast gehen müssen.
Was halten Sie von staatlich verordneter Therapie?
Davon halte ich gar nichts. Therapieren kann man nur Menschen, die das freiwillig machen. Zwangstherapien machen absolut keinen Sinn.
Viele sind auch zu einer freiwilligen Therapie nicht bereit.
Das ist auch nicht für jeden was, so eine Therapie. Die müssen sich da ja outen und was weiß ich alles. Da gibt es genügend Leute, die lieber in den Knast gehen als in die Therapie. Weil sie einfach keinen Bock haben. Ich frag mich dann immer: Wie schlimm muss so eine Therapie eigentlich sein, wenn sie lieber im Knast sind?
Ist es generell falsch, Suchtkranke mit Gefängnisstrafen zu verurteilen?
Eigentlich gehören sie nicht in den Knast. Das heißt aber nicht, dass wir der Meinung sind, sie dürfen alles machen. Wir fordern also nicht, dass jemand, der eine Bank überfallen hat, dafür nicht bestraft wird, nur weil er Drogen nimmt. So weit geht es nicht. Aber ich glaube, das man vielen Drogenabhängigen, die im Knast sind, anders helfen kann. Indem man die Entkriminalisierung endlich anpackt, indem Bedingungen geschaffen werden, in denen die Leute nicht kriminell werden müssen, um an ihren Stoff zu kommen.
Wie würde eine Drogenpolitik ganz nach ihren Wünschen aussehen?
Das kann ich in einem Satz sagen: Ich bin für die Legalisierung aller Drogen. Ich bitte das nicht mit einer einfachen Freigabe zu verwechseln. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Legalität einer Droge sie unter Kontrolle bringt. Was jetzt abläuft in Deutschland entzieht sich ja jeder Kontrolle. Wenn wir legalisieren, sollen damit auch Bedingungen verknüpft werden. Denn das heißt nicht, dass jeder alles kaufen kann. Sondern dass das Heroin vom Arzt verordnet wird. Und Cannabis müsste wie in Holland gehandhabt werden, mit Coffeeshops. Dabei muss das Jugendschutzgesetz natürlich eingehalten werden. Und wenn dann alles gesetzlich geregelt wird, gibt es eine bessere Kontrolle als jetzt.
INTERVIEW: BENJAMIN WASSEN