: Polizei auf Polonium-Spur
Die Strahlenquellen im Haus der ehemaligen Schwiegermutter von Dimitri Kowtun wurden gestern als Polonium 210 identifiziert. Hamburg rückt zunehmend in den Blick der Geheimdienste
VON GERNOT KNÖDLER
Die Polizei ist im Fall Dimitri Kowtun vorangekommen: Die Strahlenquellen im Haus seiner ehemaligen Schwiegermutter in Haselau (Kreis Pinneberg) sowie in zwei von ihm benutzten Autos wurden gestern als Polonium 210 identifiziert. Mit dem hoch giftigen Stoff ist in London der Kreml-Kritiker Alexander Litvinenko getötet worden. Kowtun hatte Litvinenko am Tage von dessen Vergiftung in einem Hotel getroffen. Die Spuren in Hamburg lassen die Vermutung zu, Kowtun könnte das Gift nach London gebracht haben und somit Mittäter sein.
Der russische Firmenberater war am 28. November von Moskau kommend in Hamburg gelandet. Wie sich jetzt herausstellte, übernachtete er schon an diesem Abend in der Wohnung seiner Ex-Frau in der Erzbergerstraße 4 in Ottensen. Tags darauf schlief er in Haselau und am 29., dem Tag vor dem Flug nach London, wieder in der Erzbergerstraße, wo inzwischen an vielen Stellen Radioaktivität festgestellt wurde. Ein Lokal, das Kowtun besuchte und ein Laden, in dem er eine Hose kaufte, waren dagegen nicht verstrahlt. Die Polizei sucht noch den Fahrer des Taxis, mit dem Kowtun am 1. November frühmorgens zum Flughafen Fuhlsbüttel fuhr.
„Für Menschen, die mit Dimitri Kowtun oder zur Familie der Ex-Ehefrau lediglich Kontakt auf Distanz hatten und Personen aus diesem Umfeld beispielsweise die Hand geschüttelt haben“, bestehe „keine Gefahr der Kontamination“, versicherte die Polizei. Die gemessene Strahlung sei sehr gering. Überdies sei das Polonium 210 schwer übertragbar.
Der Stoff ist allerdings eminent giftig. Schon ein zehnmillionstel Gramm reicht bei Einnahme aus, um einen Menschen tödlich zu vergiften. Bei den ein und drei Jahre alten Kindern Kowtuns würde die Hälfte reichen. Polonium wird in Atomreaktoren erzeugt, indem Wismut mit Neutronen beschossen wird. Seine Halbwertszeit beträgt 138 Tage. Der menschliche Körper scheidet die Hälfte des Materials binnen 50 Tagen aus.
Um die Zusammenarbeit mit der britischen Polizei zu verbessern, ist gestern früh ein Kontaktbeamter von Scotland Yard in Hamburg gelandet. Die Zusammenarbeit mit den russischen Behörden lässt dagegen noch immer zu wünschen übrig. „Wir wissen nichts zum derzeitigen Aufenthaltsort und Gesundheitszustand Kowtuns“, sagte Thomas Menzel, der Leiter der Sonderkommission.
Dass der spektakuläre Kriminalfall Hamburg erreicht hat, erklärte Polizeipräsident Werner Jantosch mit der Funktion der Stadt als Drehscheibe zwischen Ost und West. „Auch Kriminelle nutzen die Logistik und Anonymität dieser Großstadt“, sagte er. Für den Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Heino Vahldieck, zeigt der Fall, „dass auch der nachrichtendienstliche Bereich, der normalerweise im Windschatten des öffentlichen Interesses liegt, aktiv ist“.
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