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Archiv-Artikel

Frühreif ist die Haselnuss

Achtung, Heuschnupfengeplagte: Mitten im Winter sind die Haselnusspollen wieder unterwegs. Was wie ein harmloser Schnupfen aussieht, könnte also die lästige Frühjahrsallergie sein. Charité: Das ist absolut ungewöhnlich

Heuschnupfenallergiker, die auf Frühblüher reagieren, wollten es nicht glauben, als ihre Nasen in der vergangenen Woche empfindlich reagierten. „Ich begann unentwegt zu niesen“, erzählt ein Kollege. „Einfacher Schnupfen“, dachte er. Doch bald traute er der simplen Erklärung nicht mehr. Die Symptome deuteten mehr auf Heuschnupfen hin: Juckende rote Augen, geschwollene Schleimhäute, Kopfschmerzen – das ganze Programm. Misstrauisch geworden, konsultierte er die Pollenvorhersage im Internet. Hinter „Hasel“, „Erle“, „Birke“ stand jedoch nur „vorbei!“, „vorbei!“, „vorbei!“

Doch seit gestern ist es offiziell. Die außergewöhnliche Wärme macht es möglich: Pollen fliegen wieder. Auch dem Leiter des Polleninformationsdienstes und Professor vom Allergiezentrum der Charité, Karl-Christian Bergmann, sind die Klagen der Heuschnupfengeplagten zu Ohren bekommen. Es sei die Haselnuss, deren Blütenstaub vor allem im Flachland bereits durch die Luft fliege. Bisher hatte man an der Charité mit einem so frühen Pollenflug noch nie zu tun.

Referenzmessstellen, die das ganze Jahr über das Wettergeschehen beobachten, seien die Blütenpollen „ins Netz gegangen“, bestätigt Stefanie Link, die Sprecherin der Europäischen Stiftung für Allergieforschung. Daraufhin seien auch die Messstellen, die normalerweise nur in der Pollensaison arbeiten, angewiesen worden, die Pollenflugbeobachtung wiederaufzunehmen. Die entsprechenden Internetseiten des Deutschen Wetterdienstes (www.dwd.de/de/wir/Geschaeftsfelder/Medizin/Pollenvs/abfrage.htm) sind seit gestern wieder aktiv. Alle Gegenden Deutschlands bis auf die Nordseeinseln und die Mittelgebirge sind grün markiert. Grün steht zwar für nur schwachen Pollenflug, aber der Ganzjahressaison für Heuschnupfenallergiker kommt man damit einen Schritt näher. Laut Link hört der Pollenflug erst bei Temperaturen unter 10 Grad auf. Es sieht nicht so aus, als ob diese Marke in den nächsten Tagen in Berlin und Brandenburg dauerhaft unterschritten wird.

Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2005 steigt die Zahl der Allergiker stark an. Die WHO schätzt, dass im Jahr 2010 schon nahezu jeder Zweite weltweit darunter leiden könnte. 1960 wären es nur 3 Prozent gewesen.

In Deutschland ist Heuschnupfen die häufigste Allergie. Jeder Fünfte, so Bergmann, leidet darunter. Mitunter ist Heuschnupfen nur der Anfang. Jeder zweite betroffene Erwachsene entwickelt eine Kern- und Steinobstallergie dazu. Bei jedem Dritten wird, was mit Heuschnupfen begann, zu einem allergischen Asthma.

Zudem steht Feinstaub in der Luft im Verdacht, die Allergien zu verschlimmern. „Wir haben den Eindruck, dass Feinstäube die Wirkung von Allergenen, die wir einatmen, erhöhen“, sagt Bergmann. Allerdings können die Wissenschaftler noch nicht genau sagen, welche Feinstäube es sind. Dass Dieselruß ganz oben auf der Verdachtsliste steht, bestätigt Bergmann.

Heuschnupfengeplagten raten die Mediziner, wieder ihre antiallergischen Mittel zu nehmen. Der Eindruck nämlich, dass es sich nicht um eine Erkältung handeln muss, sei richtig gewesen. Waltraud Schwab